Ich hatte jetzt sowohl Janine als auch Jens und Sonja im Blick. Wenn sie nicht genau auf meinen Busch starrten, konnten sie mich aber nicht bemerken.
„Jens, ich habe meine Kinder immer geliebt. Vielleicht obwohl, vielleicht sogar, weil sie aus einer so kurzen Illusion hervorgegangen sind. Seit diesem Treffen damals habe ich sie mitunter angeguckt als ob … als ob sie nicht meine Kinder wären. Aber es sind doch dieselben! Es ist eine Art Masochismus, meine Kinder bei dir noch einmal zu sehen. Was sollte ich dagegen haben, wenn sie sich zu ihren Ebenbildern hingezogen fühlten. Aber jetzt…“ Diesmal zögerte Sonja, weiter zu sprechen. „…jetzt gibt es eine Veränderung. Ihr wisst doch, dass die Mädchen unten ihre Hausaufgaben machen. Sie bringen sie ja immer zur Kontrolle hoch…“
Janine lachte. „Hmm, wie ungerufene Geister platzen sie in unsere Gesprächsrunden und nachher verschwinden sie wieder. Passt auf: Vielleicht stehen sie schon bereit.“ Ich drückte schnell meinen Kopf nach unten. Wahrscheinlich schweifte Janines Blick über ihren geliebten Urwald.
„Ich habe mich also bei meinen Kollegen erkundigt, wie sie sich so machen“, fuhr Sonja fort. „Wisst ihr, was ihre Klassenlehrerin gesagt hat? Früher waren die beiden gut bis sehr gut, jetzt sind sie unglaublich. Als hätten sie den Unterrichtsstoff schon gehabt. Sie sollten die siebte Klasse überspringen. Noch schlimmer war ihr Physiklehrer: Manchmal sind mir die beiden unheimlich. Er hat wirklich unheimlich gesagt. Wenn sie nicht gelegentlich weiter ihre Scherze damit trieben, wer von ihnen wer ist, dann würde er sie für Lerncomputer in Menschengestalt halten. Wörtlich! Als Mutter normaler Kinder hätte mich das vielleicht gefreut. Aber so? Die fallen dermaßen aus dem Rahmen, dass es jetzt schon anderen auffällt.“
„Wir müssen eben gut auf sie aufpassen. Sie haben doch nichts angestellt…“
„Ist das alles, Jens, was du dazu zu sagen hast? Verstehst du denn nicht: Uns werden unsere Kinder immer unheimlicher. Ich habe mitunter richtig Angst vor ihnen. Und dann habe ich wieder Angst um sie. Zum Beispiel, dass diese Kugeln sie als ihr Produkt zurückfordern könnten. Es sind aber meine.“
Ich nahm den Kopf wieder hoch. Janine sah Jens gerade vorwurfsvoll an.
„Ich … Also mir ist es doch genauso gegangen. Da habe ich … Also, wenn es euch beruhigt: Es sind ganz normale Menschenkinder, nur zumindest, was Sina und Leo angeht, mit identischer DNA.“
„Wie kannst du dir da so sicher sein?“
„Na ja, wir haben die Mittel zur DNA-Analyse, und ich hab sie eben machen lassen. Alles im grünen Bereich. Man hat nichts gefunden, was uns beunruhigen müsste.“
Ich erinnerte mich sofort an den Umschlag. Jens hatte ihn so auffällig zu verbergen gesucht, dass ich mir das Nachschnüffeln nicht hatte verkneifen können. Ich wusste, dass er ein wesentliches Detail verschwieg. Das genetische Material der Kinder wies keine Ähnlichkeiten zu seinem oder Janines auf, hatte dort gestanden, sie waren in diesem Sinn beide nicht die Eltern der Zwillinge. Aber Janine hakte nicht nach.
„Und was sollen wir jetzt machen?“
„Eigentlich können wir nichts tun, ohne noch mehr Schaden anzurichten. Die Kleinen werden bestimmt nicht an die Sikroben herangehen. Ich habe Marie und Julia gebeten, immer darauf zu achten. Das Zeug ist lebensgefährlich. Sie sind groß genug, um das zu begreifen. Sie müssen eben ab und zu unauffällig von Unfällen hören, die es ja wirklich genug gibt. Trotzdem sollten wir sie kontrollieren, ohne dass sie etwas davon mitbekommen.“
Mit dieser Festlegung schienen alle zufrieden. Ich hatte genug gehört.