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27. September 2011 2 27 /09 /September /2011 08:03
 

Gundel wollte mich festhalten. Ich öffnete die Tür, obwohl sie nicht bei uns geklopft hatten. Mit Kriegsgefangenen hatte ich meine Erfahrungen. Dachte ich. Schließlich hatte ich schon früher mit Fremdarbeiter zu tun. Als ich in der Küche arbeiten mußte, habe ich ihnen immer die Reste zugeschoben, obwohl es verboten war. Aber es war doch schade um das schöne Essen und was meint ihr, wie die sich gefreut haben!

Zugegeben, niemals sonst habe ich meinen gewölbten Bauch dermaßen vorgestreckt. Einen Korb hatte ich in der Hand mit einem Brot darin und einem Stück Räucherspeck. Ein Messer hatte ich dabei und einen Krug Wasser. Gerufen habe ich etwas Polnisches ... Was weiß ich? ... Kein Wort mehr. Ich habe später nie wieder polnisch gesprochen ... Stanislaw, der die Truppe anführte, fragte etwas. Natürlich auf polnisch. Wer einen großen Topf habe oder etwas für die Suppe? Das fragte ich, auch polnisch. Ich würde das Kochen übernehmen, erstmal, und sicher fänden wir noch mehr, was wir in den Topf schmeißen könnten.

Gundel hinter mir zitterte, Vati hatte den Finger am Abzug einer Pistole.

Zum Mittag saßen wir am Lagerfeuer mit Suppentöpfen. Welche hatten Gemüse gebracht, andere Beilagen, Fleisch, mehr als die Fremden je in Deutschland bekommen hatten. Langsam waren die Fensterläden wieder aufgegangen. Alle konnten es loswerden: Es war nicht ihre Schuld. Sie waren nie dabei. Sie hatten schon immer nur ihren Frieden gewollt. Mutig waren die Mecklenburger nie.

Es folgten zwei idyllische Monate. Sogar mit Vati freundete sich Stanislaw an. Obwohl er in ihm den Wehrmachtssoldaten witterte. Aber er war mein Mann. In unserer Siedlung gab es keinen einzigen Vorfall. Die ehemaligen Zwangsarbeiter halfen freiwillig bei der Gartenarbeit und beim Ausbessern der Häuser. Sie nahmen, was man ihnen gab. Man gab ihnen viel.

Ganz schwand die Angst vor den neuen Herren nicht.

Aus der Stadt kamen Nachrichten, die dieser Angst Nahrung boten. Vera, die Tochter der Martens, hatte ihre frühere Stellung in der Villenstraße am See behalten. Die Amis hatten sie vergewaltigt, gleich kompanieweise hintereinander. Die Eltern gingen zur Militärverwaltung, sich beschweren. Sie kamen nicht zurück.

Anfangs sind die Mecklenburger Fremden gegenüber verschlossen. Mein Suppentopf hatte die Siedlung von Racheakten bewahrt. Jeder konnte sicher über die Straße gehen. So hatte ich hier schnell einen guten Stand. Doch die Gruppen der Kriegsgefangenen lösten sich auf, ihre Baracken endeten als Lagerfeuer. Die Gerüchte verdichteten sich: Schwerin war den Russen zugeschlagen worden, die Amis würden gehen.

Plötzlich hieß es, die Amis verteilen die gesamten Lebensmittelvorräte. Ob sie nun den Russen nur leere Speicher überlassen wollten oder ob sie den Spaß gesucht hatten an kriechenden Deutschen - sie erreichten beides. Die zuerst da waren, rafften, so viel ihre Körperkraft erlaubte. Auch ich hatte davon gehört, aber Gerlinde konnte jeden Tag kommen, da mußte ich mich vorsehen.

Um mich herum rissen sie sich gegenseitig Kartons aus den Händen, Sauerfleisch oder was weiß ich, keiner hat viel auf die Aufschriften geachtet wegen der Sprache und wegen der Zeit, weil andere Plünderer den vorderen in den Rücken traten. Die Kleidung zerrissen sie sich gegenseitig und ein paar Soldaten standen drum herum, ihre Zigaretten schief im Mund und lachten sich scheckig.

So zog mit den Russen der Hunger ein. Die kamen dann auch auf unsere Halbinsel. Einquartierungen für Offiziersfamilien.

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