Ich schaute sie zweifelnd an. „Du meinst wirklich, ich …?“
„Was denn sonst?“
Hektisch versuchte ich eine neue Melodie zu improvisieren. Es wollte einfach nicht gelingen. Mein Lied war weg! Ich rang der Gitarre nur ein Wimmern wie unter Schmerzen ab. Es musste doch so schnell gehen!
Endlich ein einfacher Rhythmus. Ich richtete die Gitarre wie eine Maschinenpistole auf die Tropfen. Hinter mir deutete Jule auf den erstarrten Wiesenabschnitt: „Da! … Guck doch! Und da! …“
Ich schlug in die Saiten wie besessen. Nein, nicht mehr unter der Wirkung irgendeiner fremden Kraft, sondern im Gefühl der Freude über einen unerwarteten und unverständlichen Sieg. Es ging, es ging!
Wir merkten beide nicht, dass fünf Soldaten durch das Unterholz auf uns zu stürmen. Überrascht, verwirrt, nichts begreifend standen wir plötzlich zwischen lauter uniformierten Männern. Wurden gepackt. An den Armen gezerrt, weg von dem Weg, weg von den Ätzern, raus aus der Gefahrenzone. Schrieen, schlugen um uns. Nein wir versuchten es nur. Die Griffe waren fest. Unsere Füße hoben vom Boden ab.
„Seht doch hin! Es ist gelöst! Sie sind nicht gefährlich. Man muss nur spielen. Mit der Gitarre. Dann hören sie auf! Glitzern wie …“
Jule schimpfte. „Heh, hört ihr! Wir wollen nicht sterben. Wir haben dort niemand drin verloren! Wir haben nur…“
Wir verstummten fast gleichzeitig, sanken erschöpft zusammen, rührten uns nicht mehr. Die Beruhigungsspritzen wirkten. Die Gitarre blieb unbeachtet liegen.
Später, als ich dem Arzt von meinem Spiel mit der Gitarre erzählte, als ich erzählte, was ich selbst nicht verstand, dass also mein Spiel die Kraft der Ätzer für einen Moment überwunden hatte, war der Weg am Kienberg längst von gleichförmigem Silitbrei überschwemmt. Und mit ihm die Gitarre.
Man hatte uns zur Notbehandlung ins Krankenhaus Eberswalde geschafft. Der Aufnahmearzt lächelte mitleidig. „Soso, also eine Gitarre…“
Ich wollte ihn gerade anbrüllen. „Natürlich eine …“, da traf mich dieser Blick. Ich ließ mich ins Kissen zurück fallen.
Schon am nächsten Tag wurden wir entlassen. Das Krankenhaus war überfüllt.
Wir hatten uns abgesprochen, nicht mehr von der Sache mit dem Gitarrespiel zu erzählen. Sonst hätten sie uns vielleicht da behalten. Uns fehlte doch nichts.
Jule versuchte es noch einmal bei der Zarge. Die hörte sie aufmerksam an. Dann sagte sie: „Ach, Jule, weißt du. Ich wünschte auch manchmal, dass sich Probleme so leicht lösen lassen.“
Wie zertrümmert hatte sich Jule danach bei mir ausgeheult. „Nicht einmal die glaubt mir!“
Muss ich zugeben, wie fertig ich selber war? „Wieso hätte sie auch?“ antwortete ich. „Das ist alles so absurd, das sollten wir besser mit ins Grab nehmen. Vorübergehend hab ich gestrichen die Schnauze voll, die Welt zu retten. Scheiß Kantha Inar!“ Ich hockte mich hin, legte Jule die Arme auf die Schultern, wartete schweigend, worauf auch immer. Sprach nach einer Weile weiter. „Ich hab alle Dateien aus dem Internet runter geladen. Gelesen. Die Stelle, die mich vor kurzem noch so gefesselt hat, weil sie mir so prophetisch vorgekommen ist,…. Weißt du, davor und dahinter klingt alles ganz anders. Echt versponnen. Total ernüchternd. Ich hab wohl genau jene Sätze herausgefischt, die zu diesen Ätzern passten."