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1. August 2008 5 01 /08 /August /2008 17:43
Jule flüsterte: „Spiel weiter! Bitte, spiel weiter!“

Ich schaute sie zweifelnd an. „Du meinst wirklich, ich …?“

Was denn sonst?“

Hektisch versuchte ich eine neue Melodie zu improvisieren. Es wollte einfach nicht gelingen. Mein Lied war weg! Ich rang der Gitarre nur ein Wimmern wie unter Schmerzen ab. Es musste doch so schnell gehen!

Endlich ein einfacher Rhythmus. Ich richtete die Gitarre wie eine Maschinenpistole auf die Tropfen. Hinter mir deutete Jule auf den erstarrten Wiesenabschnitt: „Da! … Guck doch! Und da! …“

Ich schlug in die Saiten wie besessen. Nein, nicht mehr unter der Wirkung irgendeiner fremden Kraft, sondern im Gefühl der Freude über einen unerwarteten und unverständlichen Sieg. Es ging, es ging!

Wir merkten beide nicht, dass fünf Soldaten durch das Unterholz auf uns zu stürmen. Überrascht, verwirrt, nichts begreifend standen wir plötzlich zwischen lauter uniformierten Männern. Wurden gepackt. An den Armen gezerrt, weg von dem Weg, weg von den Ätzern, raus aus der Gefahrenzone. Schrieen, schlugen um uns. Nein wir versuchten es nur. Die Griffe waren fest. Unsere Füße hoben vom Boden ab.

Seht doch hin! Es ist gelöst! Sie sind nicht gefährlich. Man muss nur spielen. Mit der Gitarre. Dann hören sie auf! Glitzern wie …“

Jule schimpfte. „Heh, hört ihr! Wir wollen nicht sterben. Wir haben dort niemand drin verloren! Wir haben nur…“

Wir verstummten fast gleichzeitig, sanken erschöpft zusammen, rührten uns nicht mehr. Die Beruhigungsspritzen wirkten. Die Gitarre blieb unbeachtet liegen.

Später, als ich dem Arzt von meinem Spiel mit der Gitarre erzählte, als ich erzählte, was ich selbst nicht verstand, dass also mein Spiel die Kraft der Ätzer für einen Moment überwunden hatte, war der Weg am Kienberg längst von gleichförmigem Silitbrei überschwemmt. Und mit ihm die Gitarre.

Man hatte uns zur Notbehandlung ins Krankenhaus Eberswalde geschafft. Der Aufnahmearzt lächelte mitleidig. „Soso, also eine Gitarre…“

Ich wollte ihn gerade anbrüllen. „Natürlich eine …“, da traf mich dieser Blick. Ich ließ mich ins Kissen zurück fallen.

Schon am nächsten Tag wurden wir entlassen. Das Krankenhaus war überfüllt.

Wir hatten uns abgesprochen, nicht mehr von der Sache mit dem Gitarrespiel zu erzählen. Sonst hätten sie uns vielleicht da behalten. Uns fehlte doch nichts.

Jule versuchte es noch einmal bei der Zarge. Die hörte sie aufmerksam an. Dann sagte sie: „Ach, Jule, weißt du. Ich wünschte auch manchmal, dass sich Probleme so leicht lösen lassen.“

Wie zertrümmert hatte sich Jule danach bei mir ausgeheult. „Nicht einmal die glaubt mir!“

Muss ich zugeben, wie fertig ich selber war? „Wieso hätte sie auch?“ antwortete ich. „Das ist alles so absurd, das sollten wir besser mit ins Grab nehmen. Vorübergehend hab ich gestrichen die Schnauze voll, die Welt zu retten. Scheiß Kantha Inar!“ Ich hockte mich hin, legte Jule die Arme auf die Schultern, wartete schweigend, worauf auch immer. Sprach nach einer Weile weiter. „Ich hab alle Dateien aus dem Internet runter geladen. Gelesen. Die Stelle, die mich vor kurzem noch so gefesselt hat, weil sie mir so prophetisch vorgekommen ist,…. Weißt du, davor und dahinter klingt alles ganz anders. Echt versponnen. Total ernüchternd. Ich hab wohl genau jene Sätze herausgefischt, die zu diesen Ätzern passten."

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1. August 2008 5 01 /08 /August /2008 07:15
Sven-Andre Dreyer: Appetit
Lyrik aus aus Anthologie "Notwendigkeit", Cenarius-Verlag, Hagen

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Wolfgang Eichloff: Ich wär´ so gern ganz einfach stolz...
Lyrik aus der Anthologie "Notwendigkeit" des Cenarius-Verlags, Hagen


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Slov ant Gali, "Die sieben Kugeln" (37)
utopischer Roman, Manuskript in Fortsetzungen

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31. Juli 2008 4 31 /07 /Juli /2008 16:20

Petra holte den Wagenheber aus dem Kofferraum und warf ihn mit voller Wucht in das Schaufenster. Sie griff nach der nächstbesten Gitarre und raste mit ihr durch das glücklicherweise verkehrsarme Viertel zurück ins Labor. Erst als sie an der Sicherheitstür stand, drangen neue Gedanken bis zu ihrem Gehirn vor. „Verdammt! … Moment: Guten Morgen, 1711 Herbst!“

Im großen Laborraum waren die Schaumtropfen noch einen Fußbreit von der Tür entfernt. Petra versuchte sich zu konzentrieren. Irgendwie musste sie die Saiten zum Schwingen bringen. Mit der einen Hand den Hals halten, mit der anderen die Fingerspitzen über die Saiten zupfen oder …

Die Gitarre jaulte gequält. Dabei beobachtete Petra gebannt die vorderen Sikroben.

Petra, du spinnst. Du willst das sehen. Du irrst. Wach auf!

Doch! Doch! Es klappt! Sieh doch! Die Tropfen … Sie hüpfen langsamer. Ganz deutlich. Und weniger sinds! Und die Schaumkronen … die Schaumkronen bleiben … Kein Brei mehr. Kein Hüpfen! Kein Funkeln. Das Blau … es wird matt!

Petra holte tief Luft. Schnupperte. Es roch wie immer. Petra beobachtete zweifelnd den gerade silizierten hinteren Schrank. Wartete. Gleich musste er zusammensacken …

Nein. Er behielt seine Gestalt. Er wirkte nur wie von Reif überzogen.

Plötzlich zuckte Petra zusammen. Etwas hatte ihre Schultern berührt. Marcus stand hinter ihr. Seine Gesichtszüge veränderten sich. Er hatte die peinlichen Gitarrentöne gehört, Petra erkannt, sich von ihrem Schrecken anstecken lassen und durch ihre Drehbewegung einen kurzen Blick auf Teile des verwüsteten Labors werfen können. Er war instinktiv zurückgewichen. „Was …?“

Marcus, was siehst du hier?“

Marcus stand da mit einem Blick, der nur eines ausdrückte: Das, wonach es aussah, konnte es nicht sein. Ohne Petra hätte er sicher Feuerwehr und Polizei alarmiert. So aber schwieg er.

Petra packte ihn, zerrte ihn in den Raum hinein und redete auf ihn ein: „Ich wollte es erst auch nicht glauben: Hier haben Sikroben gewütet. Ich habe mit einer Kugel experimentiert. Eine lange Geschichte. Wahrscheinlich stammen die Berliner Sikroben aus genauso einer Kugel. Das ist aber nicht so wichtig. Wichtig ist, ich habe sie vernichtet. Mit der Gitarre. Eine andere Erklärung gibt es nicht. Verstehst du? Wir haben die Lösung für Berlin!“ Es sprudelte aus Petra heraus. Sie wollte es hören. Es war wahr. Aber nach wenigen Sekunden sagte sie mit einer Stimme, als wäre das die normalste Sache der Welt: „Komm, wir müssen schnell aufräumen. Hier hat es keinen Zwischenfall gegeben.“

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31. Juli 2008 4 31 /07 /Juli /2008 12:33

Die ersten Tröpfchen waren auf einen halben Meter heran. Zu Jule vielleicht einen Meter mehr.

 Was sang ich da nur für einen Quatsch?

Weißt du, ist das nicht schön?

Da ist der Tod. Wir könn ihn sehen,

nicht verstehen.

Unser irdisch Jammertal

war einmal.

Ende aller Not. Bald ist alles hier vorbei –

einerlei.

Für die Bäume, Pflanzen, Tiere ist alles so wie immer –

niemals schlimmer.

Ihnen ist es einerlei,

dass bald alles ist vorbei.

Deshalb haben sie vom Glück

auch das allergrößte Stück.“

Plötzlich rief ich mit veränderter Stimme: „Jetzt lass mich das mit der Gitarre ausprobieren! Mal sehen, ob wir in kosmische Sphären aufsteigen.“

Jule kreischte: „Marie, komm! Wir wollen gehen! Wir haben gesehen, was wir wollten. Wir können jetzt nach Hause. Wir …“

Aussichtslos. Auf meinen Lippen lag das Lied, das ich noch nie zuvor gehört hatte. Als ob eine fremde Kraft mir Reime in den Mund legte. Etwas trieb mich, Jule mein Gefühl zu erklären: „Ich bin nicht ich. Das ist unheimlich. Schrecklich und schön zugleich. Ich kann mich wie eine Fremde sehen. Ich greif in die Saiten, ich kenn das Lied nicht. Ein wunderschönes Lied, ein wunderschöner Tanz. Wären nur nicht die tödlichen Tropfen so nahe! Ich will mich ja wehren. Es fällt mir nur so schwer. Sind das die sphärischen Klänge?“

Inzwischen drehte ich mich wieder langsam im Tanz. Sah nun Jule vor mir. Sah sie stehen wie eingefroren in einen Albtraum. Sah sie mich anstarren. Hilflose Angst in den Augen. Nur noch Sekunden und die Ätzer hätten mich erreicht. Jule wollte etwas rufen. Oder mich schlagen, damit ich endlich zu mir käme. Ganz deutlich sah ich ihr das an. Sie war so bedauernswert unentschlossen… Oder?

Da stoppte ich. Zitterte.

Was war das? Was hatte Jule? Ihr Blick ging an mir vorbei, durch mich hindurch. Hatte auch sie die hypnotische Kraft des Fremden erfasst? Ja, das musste so sein, aber irgendwie…

Ich hörte auf zu spielen, zu tanzen. Rief Julia an, fast schon wieder ich selbst: „Was ist? Hey? Hallo? Siehst du Gespenster? Hey, ich bins! Ich leb noch! Is ja schon gut, ich hab mich nicht verändert. Komm, vergiss Kantha Inar!“

In Zeitlupentempo streckte Jule ihren Arm aus. Sie deutete auf die Front der Ätzer. Ich drehte mich um, suchte, was Jule so verwirrt hatte. Stutzte. Wollte nicht glauben, … Fragte leise, fast furchtsam: “Du meinst …“ und Jule antwortete: „Na guck doch hin!“

Normalerweise antworte ich dann Was meinst du, was ich die ganze Zeit mache? Diesmal aber stierte ich weiter ungläubig auf das Gras. Ich stand ja fast schon in der Mitte eines Halbkreises! Ohne Jule wäre mir das vielleicht nie aufgefallen. Um mich herum hatten die Ätzer-Tropfen zuerst die Gräser gefrostet wie an den anderen Stellen. Dann aber musste sie etwas gestoppt haben. Die Tropfen waren selbst erstarrt. Mein Halbkreis war ein Stück Eisblumenwiese. Überall sonst schwemmten die Ätzer mit ihrem Brei über den Weg.

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31. Juli 2008 4 31 /07 /Juli /2008 11:17
 Trotz all dieser Ereignisse geht Khalid weiter zum Rudern. Er strengt sich noch mehr an, pullt noch härter und geht immer weiter an seine Grenzen. Zur Baracke hat er es jetzt sogar näher, als vom Haus seines Vaters aus. Bei Omar zu wohnen ist eigentlich ganz in Ordnung und Abu Khalid geht es scheinbar auch langsam besser. Es heißt er hat aufgehört zu schreien und er redet wieder, manchmal soll er sogar lächeln. Heute werden sie ihn und Jussuf besuchen. Bald, aber jetzt zieht Khalid noch seine Bahnen, er schließt die Augen und rudert auf dem Meer. Er zerschneidet die Wellen in wuchtigen Zügen und setzt Kurs auf den Horizont. 

Später in der Anstalt. Sie sitzen an einem Tisch, Omar, Khalid, Khalids Schwester, sein Vater und Onkel Jussuf. Betretenes Schweigen, es ist eine seltsame Atmosphäre und Khalid wünscht sich, er wäre noch beim Rudern. Seit sie da sind hat Abu khalid zwar wirklich manchmal etwas gelächelt und ein paar Sätze gesagt, aber es ergibt alles keinen Sinn. Weder das Lächeln noch seine Worte. Khalid fragt sich wie lange sie noch bleiben. Er fühlt sich schlecht deswegen, aber sein Vater ist schon so lange fort, irgendwo in seinem Kopf. Als Khalid auf die Uhr an der Wand schielt spricht Onkel Jussuf ihn an:

    Du magst Boote, oder? Das hat dein Vater erzählt. Ich bin früher manchmal raus gefahren. Mit einem kleinen Boot aus Holz. Bist du oft auf dem Meer?

Nein, man kann nicht aufs Meer.

Schade. Ich frag mich ob das Boot immer noch in dem Schuppen liegt.

Es liegt noch in dem Schuppen. Khalid hat sich genau beschreiben lassen wo das Boot früher war. Der Schuppen ist ziemlich verfallen, eigentlich ist es ein Trümmerhaufen, aber unter Brettern und Wellblech entdeckt Khalid das Boot. In dieser Nacht schläft er wieder schlecht. Beim Rudern am nächsten Tag erzählt er Mohammed davon. Mohammed musste auch umziehen, aber er wohnt jetzt weiter weg von der Baracke und kommt deshalb erst später.

Ein altes Holzboot, kein Sportgerät, wie auf den Fotos und Postern. Aber ich glaube es ist noch ganz und die beiden Ruder sind auch noch da.

Dann los, raus aufs Meer!

Beide lachen, sie wissen, dass das nicht geht.  Wenn Khalid jetzt rudert und die Augen schließt, sieht er sich in dem Boot aus dem Schuppen. Er fühlt sich diesem Boot nahe und es ist so etwas wie ein Versprechen auf das Meer. Da spielt es fast keine Rolle, dass er natürlich nicht wirklich raus fahren kann. Er ist froh, dass bei all dem was passiert und was passiert ist, dass er trotzdem rudern kann. Er will nicht mit den anderen versteckt in der Wohnung kauern, nicht vor dem Fernseher sitzen und ägyptische Serien oder Al-Dschazeera sehen. Warum schließen sie sich in den Häusern ein um es dann trotzdem im Fernsehen zu sehen. Beim Rudern kommt er in einen monotonen Rhythmus und der Kopf setzt aus. Das ist fast das beste am Rudern. Der Moment der Trance, wenn das Denken endet.

(Fortsetzung folgt) 

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31. Juli 2008 4 31 /07 /Juli /2008 04:42
Reiner Wedler: Blinder Punkt
Lyrik aus aus Anthologie "Notwendigkeit", Cenarius-Verlag, Hagen
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Rainer Richtenberg: Platz – Halter
Lyrik


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Slov ant Gali, "Die sieben Kugeln" (36)
utopischer Roman, Manuskript in Fortsetzungen

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30. Juli 2008 3 30 /07 /Juli /2008 17:24

Die kreisen über dem Katastrophengebiet. Wär ja möglich, dass Verrückte sich freiwillig in Gefahr bringen.“ Ich schmunzelte, stieß Jule in die Seite. Aber die ließ sich einfach nicht aufmuntern. Glaubte die wirklich, ich hatte keine Angst?

Wir waren nur etwa hundert Meter Luftlinie von der Kienbergspitze entfernt. Standen an einer Gabelung. Der linke Pfad führte bergauf. Wir nahmen den asphaltierten Wanderweg rechts um den Hügel herum. Von den fehlenden Menschen abgesehen sah alles genauso aus, wie es eben in einem stadtnahen Erholungsgebiet aussieht. Asphaltiert für ältere Leute zum Spazieren im Grünen.

Dann der Blick ins Wuhletal. Richtiger auf das Feld, das vor Tagen noch das Wuhletal gewesen war. Das erste, was mir auffiel, war die freie Sicht. Kein Hochhaus, kein Plattenbau, kein Eigenheim. So weit wir sahen, nichts als eine glatte Fläche, ein erstarrter, ein zugefrorener See. Allein seinen Rändern brodelte es. Ansonsten ödes, totes Graubraun. Die Wuhle verschwunden, die Froschteiche… Die waren noch ein paar Tage davor der Stolz der Hellersdorfer Naturschützer. Und nun alles Breiwüste.

Neben dem Weg zog sich ein Graben hin. Umwuchert von dunkelgrünen Gräsern und Schilf bis hoch auf die etwa drei Meter breite Böschung. Gerade in dem Moment, in dem wir entsetzt, verwundert, überrascht, wie auch immer, die fremde Landschaft vor uns noch nicht richtig begriffen hatten, überwand die zähflüssige Masse die Sperre am Teich. Der Weg in den Graben war frei. Schnell schob sich der Silitbrei vorwärts. Die Ätzertropfen an seiner Spitze hüpften hin und her, als freuten sie sich über so viel frische Nahrung. Ich hatte den Asphaltweg verlassen, stand auf der Böschung, sah den Fluten zu. Jule war oben stehen geblieben.

Faszinierend!“ flüsterte ich, mehr für mich selbst. Ich starrte gebannt auf das Schauspiel: Die Tropfen an den Rändern funkelten in verschiedenen Blautönen. Sie hüpften ohne Beine wie Wasser, das aus großer Höhe auf eine Fläche fiel. Grashalme, die sie berührten, erstarrten nach kurzem Aufschäumen. Sofort verschwand das Grün. Die Halme verwandelten sich. Glitzernde Eisblumen. Kurz darauf schmolzen sie zu grauem Brei zusammen. Lautlos. Geruchlos. Die Sonne wärmte mit voller Kraft. Wir merkten es nicht.

Das wars dann also.“ Ich hockte mich hin. Vielleicht einen Meter von mir entfernt bahnten sich die hüpfenden Tropfen ihren Weg im Grabenbett. Ein richtiger Fluss blauer Lava. Mir war zum Baden zumute. Verrückt. „Bizarr! Einfach bizarr! Was meinst du, Jule, wollen wir so sterben?“

Spinnst du, Marie? Hör endlich auf damit!“ Jules Stimme überschlug sich fast.

Schon gut! Reg dich ab!“

Ganz hatte mir dieses Etwas den Verstand noch nicht abgeschaltet. Er warnte mich noch. Das war ja kein irrer Film. Das war real. Trotzdem so was von harmlos. Wenn man nur guckte, beinahe niedlich. Unwirklich vor allem. Selbst Jule wäre bestimmt näher herangekommen. Dabei hätte das ja ihren Tod bedeuten können. Ich spürte sie hinter mir. Spürte, sie hatte irgendwie den Moment verpasst, an dem sie mich hätte festhalten können. Hörte sie keuchen und da besiegte mich ein Rausch. Ich konnte einfach nichts gegen den Sog ausrichten. Begann zu tanzen. Drehte mich im Kreis. Konnte kaum noch etwas sehen. Nur noch Jule, die mich entsetzt anbrüllte: „Bist du übergeschnappt? Vergiss deinen Meister...“ Ich drehte mich einfach von ihr weg.

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30. Juli 2008 3 30 /07 /Juli /2008 16:18
 Wie oft hatte Petra solche Szenen im Fernsehen gesehen! Ihr Labor war eine Miniversion des Berliner Katastrophengebietes – nur irgendwie in Zeitlupe. Das konnte einfach nicht sein, überlegte Petra, wo sollten denn hier aktive Sikroben herkommen? Die Testpräparate waren doch in Magnetfeldbehältern fixiert, und die hatten ihre Assistenten eingeschlossen.

Alles, was sie sah, konnte erst in der vergangenen Nacht neu entstanden sein. Aber wie? In der Mitte des Raumes lag noch der Kristallkern der zertrümmerten Kugel … warum hatte sie den eigentlich nicht weggeräumt und danach das Labor gesäubert? Warum waren jetzt unmittelbar um ihn herum alle Partikel wie weggesaugt? Und von dort breitete sich der zähe Brei aus...

Die Kugel! Jens´ Kugel. Rahmans Kugel. War nicht Rahman unter den ersten Opfern der Tropfeninvasion – damals, als die Opfer in den Berichten noch Namen hatten? War das Zufall?

Wenn er nun seine Kugel in Hellersdorf dabei gehabt hatte? Dann konnte dort die Katastrophe von seiner Kugel … Vielleicht hatte er sie auch bestrahlt und geöffnet? Wenn … Dann wiederholte sich hier das alles, was sie schon kannte!

So klein sahen die Sikroben richtig harmlos aus. Blau funkelnde Regentropfen am Boden. Erst wenn sie auf etwas anderes stießen, entfalteten sie ihre Zerstörungskraft. Nur offensichtlich langsamer als in Hellersdorf.

Petra bleib ruhig! Vielleicht ist alles ganz einfach.

Was hatten diese Mädchen behauptet? Die eine habe Gitarre gespielt. Sofort habe der Spuk aufgehört. War so etwas denkbar? Natürlich nicht. Phantasie von Jugendlichen. Aber das da vor ihr war gestern auch noch nicht denkbar.

Langsam wich der Schreck. Dafür war ihr nun schwindlig. Sollte sie nicht das mit dem Gitarrespiel wenigstens einmal selbst ausprobieren? Petra fühlte sich plötzlich besser. Ja, kein Zweifel, sie fühlte sich beschwingt, ja glücklich. Das konnte in ihrer Lage nicht normal sein. Eine Botschaft!? Wenn es nicht half, würde es zumindest nicht schaden. Es war verrückt, aber anderenfalls war sowieso bald alles zu Ende.

Plötzlich prallte Petra zurück wie von einer Druckwelle getroffen. Das Alarmsystem lief automatisch weiter. Gleich käme die Polizei! Das durfte nicht sein. Die würden dabei drauf gehen! Das hier war allein ihr Fall!

Petra drückte die Tür zu, sie lehnte sich noch einen Moment draußen an und sagte mit Blick auf den Analysator „Vier eins sieben, vier eins sechs“.

Erst hielt sie das Klingeln für den Nachhall der Sirene. Dann merkte sie, dass es das Videophon war. Der Wachhabende wollte offenbar eine Bestätigung der Entwarnung. Petra gab sie ihm und begann zu rennen. Sie lief zum Institutsparkplatz, sprang in ihren Wagen und raste in die Innenstadt. Es war acht Uhr zweiundzwanzig, als sie vor dem Schaufenster der noch geschlossenen Musikalienhandlung stand. Bis 9 Uhr konnte sie nicht warten. Die nächsten Menschen waren weit entfernt. Sie würden sich nicht einmischen. Die Polizei wäre auch nicht rechtzeitig da …

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30. Juli 2008 3 30 /07 /Juli /2008 14:30
 2.

  Der nächste Tag, in der Trainingsbaracke.

    Die Boote kommen nicht!

Mohammed erwartet Khalid mit fassungslosem Gesicht auf dem Ergometer. Die Boote kommen nicht über die Grenze, weil es Differenzen wegen der Papiere gibt und weil die Boote möglicherweise kriegsfähiges Material seien. Selbstmordattentäter könnten sich mit den kleinen Booten nachts an Militärschiffe schleichen. Es ist noch nicht einmal heraus, ob man sie nun reinlassen wird oder nicht - und doch hat Khalid das Gefühl, es könnte überhaupt nicht mehr schlimmer kommen. Er verbringt lustlos eine halbe Stunde auf dem Gerät und verlässt dann die Baracke. Als er nach Hause kommt und sich zu seinem Vater vor den Fernseher setzt, weiß er aber doch sofort, dass es schlimmer kommen wird. Jemand hat einen israelischen Soldaten entführt. Jemand von der Hamas wahrscheinlich.

 

Die Gewissheit folgt schnell, so wie die Reaktion aus Israel. Khalid verflucht die Hamas still in sich, als er am nächsten Tag erfährt, dass nicht nur die Boote nicht rein gelassen werden, sondern dass auch die Bucht nicht mehr freigegeben wird zum Üben. Am liebsten würde er einen Stein durch die Scheibe des Hamasgebäudes neben der Baracke schmeißen. Aber das wäre dumm und gefährlich. Er muss an die Worte seines Vaters denken. Alles Esel. In den folgenden Tagen wird nach dem israelischen Soldaten gesucht.  In einigen Vierteln verlassen die Leute ihre Häuser weil angekündigt wurde, dass sie zerstört werden.

Drei Tage später kommt Abu Khalid in die geschlossene Anstalt. Khalid war Morgens aus dem Haus gekommen und hatte die Flugblätter gefunden mit der Information, dass alle das Viertel verlassen sollen, da es illegal sei und eingeebnet wird. Omar und Khalids Schwester waren gekommen um die Familie zu sich zu holen, in eine Umgebung, mit etwas mehr Sicherheit. Sie hatten alles gepackt, was sich verstauen ließ, alles was wichtig ist, aber als sie Khalids Vater mitnehmen wollten, fing er zum ersten Mal seit langer Zeit an Laute von sich zu geben und zu zeigen, daß noch Energie in ihm war. Er schlug um sich, zerstörte Teile der Einrichtung und schrie in einem erstickten, gurgelnden Ton. Sie versuchten ihn zu beruhigen, aber nach einer Stunde hatte Omar genug und packte sich den alten Mann. Er nahm ihn über die Schulter mit zum Auto. Es wurde auch später nicht besser und sie brachten ihn am nächsten Tag in die Anstalt zu seinem Bruder Jussuf.

(Fortsetzung folgt) 

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30. Juli 2008 3 30 /07 /Juli /2008 04:26
Björn Högsdal, Rudern (5/Schluss)
Prosa,
Einer der 10 Siegertexte beim internationalen Friedenslesungswettbewerb 2007,
Veröffentlichung erfolgt in der Anthologie "Das Leben riecht nach Meer"


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Hanna Fleiß: "Stück von Stille"
Lyrik


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Slov ant Gali, "Die sieben Kugeln" (35)
utopischer Roman, Manuskript in Fortsetzungen

 

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