In den deutschen Nachrichtensendungen hatten in den letzten Tagen Berichte über die Vorbereitung des massiven Gegenschlages die Meldungen über die Vernichtungswut der Ätzer abgelöst. Viele Menschen nahmen dies als vorweggenommenes Zeichen der Beruhigung. Nun liefen auf allen Sendern Lifeübertragungen mit eingeblendeten Grafiken und Kommentaren. Die Menschheit hatte über eine existentielle fremde Gefahr gesiegt. Welch Größe der menschlichen Gattung!
Vereinzelt meldeten sich Wissenschaftler zu Wort, die noch immer am Ende der Katastrophe zweifelten. Man wisse fast nichts über ihr Wesen, in bisherigen Laborversuchen seien die Sikroben nur punktuell zerstört, zerstäubt und zusammengedrückt worden – eben das, was sie mühsam erforscht hatten. Aber wen interessierte das angesichts der Bilder einer großräumig schrumpfenden Glocke?
In Niedersachsen, Mecklenburg und Sachsen/Anhalt frischte der Wind deutlich auf. Dort wurden Spitzen bis Stärke sieben gemessen. Das Wetterregulierungssystem Met-Cor sollte das Tiefdruckgebiet nach Dänemark umlenken. Durch künstliche Luftdrucksenkung wurde ein Strudel geschaffen, um das kleinere natürliche Tiefdruckgebiet in sich aufzusaugen.
Die Sikroben fraßen sich normalerweise geradeaus nach allen Seiten und ließen ihre Verdauungsprodukte einfach hinter sich zurück. Diesmal war die Lage anders. An der Erdoberfläche kam Gegendruck gerade aus der Richtung, in die sie sich ausbreiten wollten. Der Angriff stülpte ihnen regelrecht eine Glocke über, die rundum drückte.
Noch während die Medien die Invasoren sicher gefangen glaubten, organisierten sie sich diese neu. Einzelne Sikrobengruppen ballten sich zu riesigen Würmern zusammen. Die bohrten sich durch kleine Röhren im Boden unter ihren Angreifern hindurch. Dass der Ätzerkessel so deutlich sichtbar implodierte, war zumindest teilweise Folge dieser Flucht in die Tiefe. Warum die Wände der schmalen silizierten Gänge so fest wurden, dass sie nicht von den darüber liegenden Erdschichten eingedrückt wurden, wird wohl ewig ein Geheimnis bleiben. Sie überwanden auf jeden Fall eine Strecke von mehr als einem Kilometer. Das dauerte über eine Stunde. Nach dem Wiederauftauchen an der Erdoberfläche lösten sich die Sikrobenwürmer wieder in ihre normale Tropfenform auf, um rundum auf Nahrungssuche zu gehen.
Kaum hatten weltweit die meisten Menschen die Siegesmeldungen über die fremdartige Invasion je nach Temperament mit Aufatmen oder Freudentaumeln quittiert, wurden die ersten neuen Sikrobenkränze beobachtet. Plötzlich steckte der Kessel, den die Menschen geschaffen hatten, in einem wesentlich größeren der Ätzer. Nur dass jetzt auch die meisten Energiereserven der weltraumgestützten Waffen aufgebraucht waren, und niemand sagen konnte, welche Gebiete man nun hätte wegradieren müssen.
In einer Zeit von Kriegen und Katastrophen waren die Zuschauer an den Bildschirmen abgehärtet. Tod und Vernichtung erschienen ihnen normal, aber immer weit weg und kontrolliert. Leute, die das Ende der Menschheit vorhergesagt hatten, hatte es auch zu allen Zeiten gegeben. Spinner und Schwarzseher eben. Klar waren es diesmal mehr. Die Sekten schossen wie Pilze aus der Nährlösung. Aber wozu gab es die Wissenschaft? Man würde schon rechtzeitig eine Lösung finden. Je weiter Berlin entfernt lag, desto mehr hatten die Fernsehzuschauer die Ereignisse bisher nur mit dem Schauder der Dauer-Voyeure verfolgt. Nun wurde es plötzlich selbst in weit entfernten Orten wie Madrid oder Moskau schwer, das öffentliche Leben aufrecht zu erhalten. Es sah wirklich so aus, als wäre das Problem zu kompliziert für die Menschheit. Sollte man nicht besser abhauen oder wenigstens sich noch ein paar schöne Tage machen?
Innerhalb von zwei Tagen wurde ein vom Umfang her alles bisher Dagewesene übersteigendes Europäisches Notforschungsprogramm beschlossen. Alle Forschungseinrichtungen, unabhängig von ihrer bisherigen Ausrichtung wurden bis zur tatsächlichen Eindämmung der Gefahr Einrichtungen unterstellt, die bereits an den Sikroben forschten. Der Europäische Forschungsrat in Paris wurde ermächtigt, notfalls erforderliche Geräte zu konfiszieren. Außerdem wurde ein Forschungspreis ausgeschrieben. Eine Milliarde Euro bekämen die Entdecker eines die Sikroben stoppenden Mittels. Der Preis sollte anteilig gewährt werden, wenn mehrere Teams am Erfolg beteiligt wären. Zumindest auf dem Papier war man ungeheuer schnell vorangekommen.