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27. September 2011 2 27 /09 /September /2011 08:01
 

Durch das Fenster starrte mich eine große Puppe an.

Es war keine Puppe. Es war eine Frau, die sie an die Oberleitung der Straßenbahn geknüpft hatten. Im Radio hatten sie den Tod des Führers gemeldet. Da habe diese Frau in aller Öffentlichkeit aufgeatmet und gesagt, Bei Gott, dann ist bald Frieden. Zweimal noch hat Gott den Strick reißen lassen, erklärte die Barmherzige Schwester. Früher hätte dies Begnadigung bedeutet.

Doch nun solle ich mir schnell etwas überziehen. Die Kranken würden abtransportiert. In Sicherheit. In ein kleines Lazarett im Westen. Rehna. Ich solle mich beeilen.

Ich bin rausgerannt. Schnell auf die noch saubere Toilette. Mein leerer Magen gab eine saure Brühe von sich. Lange ließ ich kaltes Wasser über mein glühendes Gesicht laufen.

Danke, Schwester, hier bin ich meinem Mann am nächsten, habe ich geantwortet. Ob sie nicht die Nachricht nach Wismar mitgeben könne, ich sei jetzt in Schwerin? Möglich, mein Mann sei dort. Jedenfalls vielleicht noch. Ich komme schon zurecht. Sie solle sich um mich keine Sorgen machen.

... Weiß ich nicht. Manchmal sehe ich die Gesichter vor mir, als wäre es gestern und ich höre sie sprechen und dann wieder ist mir, als wäre es ein selbst gemachter Film ... Spottet nur über eure alte Oma. Da kommt ihr auch noch hin. Aber ...

Egal: Die Schwester senkte den Kopf. Ich muß los. Wenn Sie meiner Kusine Grüße bestellen würden? Die wohnt in einer Siedlung am Stadtrand. Sie brauchen nur zu sagen, Sie kämen von mir, dann finden Sie Unterschlupf und Frieden.

Meine Augen brannten, doch das Kleid am Körper war gewaschen, und inzwischen hatten Anwohner die Gehängte abgenommen.

Es war ein strahlend sonniger Frühlingstag, als ich das erste Mal unseren Wasserweg entlanggelaufen bin. Der Bahndamm roch vertraut nach verbranntem Gras. Wie er eben riecht, wenn das Vorjahresstroh in der Sonne trocknet und vorbeifahrende Züge Funken hineinschmeißen. Rasch ist alles schwarz. Ich kam mir zu Hause vor.

In meinem Bauch rumpelte es. Gerlinde wuchs dort seit Vatis letztem Fronturlaub. Hatte wohl Hunger.

Ich fand die Adresse auf Anhieb. Die Siedlung war während des ganzen Krieges von Luftangriffen verschont geblieben. Der Krieg war jetzt erst auf der Halbinsel angekommen. Der Anger war voller Notbaracken mit Kriegsgefangenen, die in Tag- und Nachtarbeit Stellungen bauten. Polen, Franzosen, Russen ... Um sie herum Jungs mit ersten Barthaaren. Für die ging das große Kriegsspiel los.

... Ja, schütte gleich zwei Löffel Zucker in die Tasse. Danke. ... Gundel war 22, einsam und verängstigt. Nach meinem Gruß hat sie mich wie eine wiedergefundene Schwester empfangen. Ihr Mann war auch im Krieg. Sie besorgte die Wirtschaft. Außerdem ihre hilflose kranke Mutter, einen Hund und zwei alte Gänse, die zu schlachten sich nicht mehr gelohnt hatte. Mit mir konnte sie den Abendstunden etwas sicherer entgegensehen.

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