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29. Juli 2008 2 29 /07 /Juli /2008 10:17
 

Jule war tatsächlich unschlüssig stehen geblieben. Schwankte, ob sie weiter mitgehen soll. Sah sich suchend um. Gerade in diesem Moment war weit und breit kein Mensch zu sehen außer mir. Ich war nun schon fast 50 Meter weiter und tat so, als interessierte ich mich überhaupt nicht für sie.

Marie, warte!“ Endlich rannte Jule los. Ich ließ sie aufschließen, atmete auf. Ohne sie anzusehen, legte ich ihr einen Arm auf die Schultern. „Alles klar?“

Als Antwort ging Jule etwas schneller.

An der Landsberger Chaussee durchkämmten Soldaten die Häuser. „Da nehmen noch andere außer uns die Evakuierungsbefehle nicht ernst.“ Jule lächelte. Ich natürlich auch.

Wir kamen Hellersdorf immer näher. Jule murmelte: „Ich weiß, ich nerve. Aber noch können wir umdrehen.“

Das kannste aber laut sagen! Du nervst wirklich. Wir ziehen das jetzt durch und Schluss!“ 

Die Mühen der Soldaten, das Gebiet abzuschirmen, stachelten mich erst richtig an. Immer wieder Hinhocken oder Hinwerfen, von Deckung zu Deckung vorwärts. Mitunter musste ich Jule ganz plötzlich packen, auf den Boden schleudern, mit ihr an schwer einsehbare Stellen rollen. Das alles mit Gitarre und Kleid. Nicht, dass ich was bereut hätte. Sich an den Boden und Jule ankuscheln, warten, lauschen, weiter schleichen, Jule hinter mir. So war die Sache ja erst richtig kitzlig.

Inzwischen lungerten an allen Kreuzungen Streifen, die die leeren Straßenzüge musterten.

Eine tote Stadt.“ Ich lächelte dabei. Höchstens ein klein wenig verkrampft. „Wo kriegt man das sonst zu sehen.“

Julia sah mich schaudernd an. Nein, nichts verriet, ob ich das ernst meinte.

Unentdeckt erreichten wir den Blumberger Damm. „Scheiße!“ knurrte ich, „Hier biste ja kilometerweit aufm Präsentierteller.“ Über diese breite Straße mussten wir rüber. Drei Jeeps näherten sich. Fuhren vorbei. Entfernten sich wieder. Aber selbst, als es schon wieder völlig still war, blieb ich regungslos liegen. Konzentrierte mich. Ganz plötzlich stand ich auf und putzte mich seelenruhig ab. „So, jetzt aber los!“

Auf der anderen Straßenseite klärte ich Jule auf: „Wir müssten bald da sein. Nur noch durch den chinesischen Garten, hinter dem Kienberg kommt das Wuhletal. In dem Erholungsgebiet gibts keine Häuserblocks. Wahrscheinlich auch keine Streifen mehr. Irgendwo dahinter wüten diese Tropfen. Und jetzt über den Zaun!“

Jule sah sich unsicher um. „Na gut“, brummelte ich, „dann eben nicht!“ Ich lief also die etwa 100 Meter weiter bis zum Pförtnerhäuschen des Parks. An dem verlassenen Drehkreuz blieb ich stehen. „Aber auf der Rückseite müssen wir wirklich übern Zaun. Guck dich schon mal nach einem Knüppel um. Wir wolln es nicht drauf ankommen lassen.“

Im chinesischen Garten herrschte gespenstische Stille. Wir blieben kurz stehen. Kein Laut. Kein Vogel, kein Summen, nichts. Nur das Echo der eigenen Schritte. Eine krasse Spukatmosphäre – und das mitten am Tag.

Wieder eine Störung: Ganz langsam schwoll ein fernes Brummen zum Dröhnen an. „Hubschrauber!“ Uns blieb ein Teehaus als Versteck. Ich drückte Jule an mich. “Wir sind jetzt fast da. Meinst du, ich lass mich so dicht am Ziel noch aufgreifen?“ Wir rührten uns nicht. Es dauerte lange, bis es wieder ruhig war.

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