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23. Juli 2008 3 23 /07 /Juli /2008 04:27

 

Blind vor Liebe


A
ls ich dir
nicht nahe genug kommen konnte
beschloss ich
mich zu vergraben
in deinem Gesicht
ich griff
nach deiner Seele
hielt dann aber
deine Augen
in meiner Hand
blickte verwundert
auf dein wundes Gesicht
und lachte
musste ich doch den Spruch
blind vor Liebe’
eine gänzlich neue Bedeutung
beimessen
doch noch immer
war ich dir fern
dein zerwühlter Schädel
hatte mich
dir nicht näher gebracht
ich griff
nach deinem Herzen
hielt dann aber
unförmiges Fleisch
in meiner Hand
suchte hilflos
nach der Liebe darin
fand sie nicht
behielt aber dein Herz
konnte doch nun endlich
jeder sehen, dass es mir
gehört
doch noch immer
war ich dir fern
dein ausgeweideter Körper
hatte mich
dir nicht näher gebracht
so tat ich denn
das letzte was mir
Nähe versprach
hüllte mich ganz ein
verschwand fast
in deiner Hülle
und begriff
in einem grausamen Moment der Klarheit
dass ich nun zum Inhalt
dieser Hülle geworden war
weil ich den
dem ich nahe sein wollte
einfach nicht hatte finden können
in seinem Körper

 

Anna-Lena Wolf in "Notwendigkeit", erschienen im Cenarius-Verlag Hagen



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Pascal Cziborra, Bielefeld, 26 Jahre, freiberuflicher Autor und Holocaustforscher

auf Gedicht des Tages



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Utopischer Fortsetzungsroman
"Die sieben Kugeln" von Slov ant Gali (28)

 

Ein Umzug zu viel

Lisa hatte inzwischen viele Arbeitsstellen hinter sich. Hätte ihr zwischendurch jemand erzählt, sie würde ausgerechnet in der Deutschen Arbeitsvermittlungsagentur enden, hätte sie eine überhöhte Körpertemperatur vermutet. Nicht sehr wahrscheinlich. Jetzt begeisterte sie diese Aufgabe. In einem komplexen internationalen Vermittlungsprojekt waren die Mitarbeiter der Agentur gefordert. Sie suchten für die unterschiedlichen Anforderungsprofile die richtigen Bewerber. Lisa war ein Sprachtalent. Natürlich wurde von jedem Bewerber erwartet, dass er deutsch sprach, wenn er in Deutschland Arbeit suchte. Ging es aber darum, frühzeitig Talente zu vermitteln, dann war es von Vorteil, wenn der Vermittler die Sprache der zu Vermittelnden beherrschte. Ohne zu überlegen, wofür sie das später einmal verwenden könnte, knüpfte Lisa Kontakte zu Familien auf dem ganzen Erdball.

Zu Lisas Leben gehörten ständige Umzüge. Sie wurde überall gebraucht und konnte nie nein sagen. Bis vor einem Jahr hatte sie dabei immer Rahmans Kugel mitgeschleppt. Hatte sie betrachtet, an den Jungen gedacht, dessen Bild immer mehr verblasste … Beim letzten Umzug aber nahm sie die Hilfe einer Umzugsfirma in Anspruch. Die hatte ihr Pappkartons ausgeliehen. Wie hätte sie darin eine etwa zwanzig Kilo schwere Kugel unterbringen oder anderswo unbemerkt verstecken sollen? Lisa konnte sie nicht schleppen, ehrlicher: sie wollte es nicht mehr, und sie hatte einen Anlass gesucht, sich von dieser Erinnerung zu befreien. Im Innenhof unter dem Fenster ihrer Wohnung in Friedrichshain versteckte sie die Kugel unter einem Strauch. Das passte ihrer Meinung nach zu der Erinnerung. Lisa sah sich noch einmal gründlich um. Sollte sie wirklich noch einmal einer der ehemaligen Schwurschwestern und –brüder zu einem Treffen einladen, dann holte sie die Kugel eben hier ab. So weit war die Cecilien- ja nicht von der Holteistraße entfernt. „Sollten die sechs mich wieder treffen wollen, dann finde ich das Ding bestimmt wieder.“

Hatte sie gedacht. Natürlich die Sikrobenflut nicht vorhergesehen. Überstürzt flüchtete Lisa aus Berlin. Durch die vielen Umzüge geschult suchte sie ihr Kleingepäck gründlicher aus als die meisten zu den Trecks drängenden Mitbewohner. An die Kugel dachte sie keinen Moment. Mit zwei Koffern tauchte sie auf Näswerder auf. Es wäre leicht gewesen, sie dort aufzuspüren, nur hatte Jens gerade zwei Tage zuvor bei den Näsies herumgefragt und da hatte niemand etwas von ihr gehört. Die Agentur in Berlin schloss. Dort hinterließ Lisa, sie würde sich wieder melden. An eine amtliche Ummeldung dachte sie diesmal nicht. So fand Jens zwar Unterlagen über ein ausgiebiges Wanderleben, aber das Haus, in dem sie jetzt angeblich wohnte, gab es nicht mehr.

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