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27. Dezember 2009 7 27 /12 /Dezember /2009 11:56

3. Gitarrenklänge


Sechs Monate zuvor...

Laut und klar hebt sich seine Stimme vom Rauschen der Wellen ab. Jede Silbe harmonisch, verleiht seinem Gedicht Tiefe. Im Reigen sitzen sie, Klaus, Simone, Elisabeth, Rolf an einen Strandkorb gelehnt und Lucy, die ihre Arme über der Gitarre verschränkt, andächtig die Augen schließen.

In der Mitte brennt ein kleines Feuer, ersetzt künstliche Lichtquellen. Nordseewind. Das letzte Wort betont Martin stark.

„Leben.“ Man klatscht, verlangt eine Zugabe. Währendessen nimmt er auf einer Kiste Platz und sieht zu Lucy herüber. Sie lächelt ihn an, lobt ihn auf Englisch und auf Deutsch. Gleich darauf schlägt Rolf ein Lied vor und alle blättern in dem roten Ordner. Lucy gibt den Auftakt für das nächste Lied. Leise stimmt Martin mit ein. Hat sie alles verstanden? fragt er sich. Simple Worte, sinniert er, simple Worte. Nun genießt er diese eingängigen Melodien, die ihn stets in emotionale Höhen befördern, unterstützt von Zustimmung. Englisch oder Deutsch - die Sprache macht keinen Unterschied, hier zählen die Emotionen. Seine Bewunderung wächst, dieser Schöpfungsgeist, diese Kraft, erfährt er intensiver denn je.

Eine Stunde widmen sie dem Gesang, danach einem knapp halbstündigem Gebet. Erst jetzt legt Lucy das Instrument auf eine Decke. Gähnend wünscht man sich eine angenehme Nachtruhe. Lediglich Martin und Lucy erheben sich nicht. Martin klopft seine Jeans ab, möchte den Sand abschütteln, ehe er sich in das Zweimannzelt begibt. Noch bevor er aufsteht, spricht ihn Lucy an. Sie möchte die Adressen tauschen, und deutet an, seine Texte lesen zu wollen. Martin bejaht und hilft ihr beim Zusammenräumen.

Eine Hand voll Sand lässt das Feuer erlöschen. Unaufhörlich pfeift der Wind, schmerzt in den Ohren und schlägt gegen die Zelte.

Wenige Meter sind es bis zum Zeltlager.

Rolf hat eine Taschenlampe angeschaltet, schmökert in einem dicken Roman. Martin gesellt sich zu ihm, bevorzugt seinen Goethe.

„Schade, dass wir morgen abreisen, Rolf.“

Keine Antwort, denn Rolf schläft bereits. Lange liegt Martin wach und wählt bereits Gedichte aus, die er ihr schicken möchte.

 

4. Segen


Wieder keine Post. Martin fuhr sich durchs Haar. Keine Zeile könnte er an diesem Tag mehr schreiben. Unerledigte Rechnungen stapelten sich.

Bald müsste er Lebensmittel einkaufen. Am Küchentisch zündete er sich eine Zigarette an, erfreute sich an ihrer Wirkung. Vier unfertige Haiku las er mehrmals durch. Eine Unzahl von grünen Klebezetteln haftete an den Schränken, Türen, Fensterborden und Pinnwänden. Einen Monat noch, bis die freie Woche beginnen würde, stellte er beim Blick auf den

Kalender fest. Rolf hatte nicht nur Martins Urlaub, sondern auch seinen durchgesetzt und schlug Malta und Kreta als Urlaubsziele vor. Lange quälte Martin sich mit dem Gedanken, eine Verlockung. Seine Entscheidung stand fest – Dublin. Rolf wusste nichts von Lucy.

Jedenfalls verschwieg Martin ihm, dass er regelmäßig Briefe von ihr erhielt und diese in einem laienhaften Englisch beantwortete, Lyrik beimischte und nach Klängen und Reimen in dieser Sprache suchte, die er für seine Dichtung neu entdeckte. Ihn anlügen? – Nein, er würde Rolf die Wahrheit sagen.

Beim Besuch in der Kirche bat er Pater Lorenz um den Segen für die Reise, obwohl er diese erst einen Tag später buchen würde. In der Beichte erzählte er ihm, dass er kündigen wolle. „So kann ich nicht weitermachen, Pater. Diese Einsamkeit macht mir zu schaffen.“ Pater Lorenz riet ihm zur Gewissenhaftigkeit, zu beten und das doch recht überstürzte

Vorhaben in aller Ruhe zu überdenken.

Ungern mochte er Pater Lorenz mit seiner Misslage konfrontieren. In diesem Augenblick empfing er den Segen, für seinen Lebensweg und seinen Glauben. An diesem Tag half er jedoch so gut wie gar nicht.

Eine Stunde später rief er Rolf an, um ihm seine Pläne mitzuteilen-

„Ganz allein, Martin?“

„Ja, nur so kann es klappen.“

Gleich darauf notierte er sich das Abreisedatum und seine Angst wuchs.

Gründe, welche Gründe? Arg drängten sich ihm diese Fragen auf, Szenarien ging er gedanklich durch, begleitet von den Impressionen der Nordsee.

Bald wird Martin eine neue Mappe fertiggestellt haben. Pater Lorenz würde diese genüsslich lesen und Reumut dabei empfinden. Einige der Gedichte würde er mit Freuden in den Gemeindebrief aufnehmen, doch wissend, keine Zustimmung von Martin zu bekommen.

5. Gedankenflüsse


Während der Fahrt zum Flughafen schrieb er, steigerte sich weiter in diese Berufung. Zuversicht trug ihn wie Flügel einen mächtigen Adler.

Ihre Hausnummer kannte er, aber nicht ihre Telefonnummer. Seit nun mehr drei Jahren lebte er in der kleinen Wohnung allein. Einen Teil seines Geldes sparte er oder legte es in Aktien an. Er hatte sich um Anlagefachmann entwickelt. Abermals sah er sich das unscharfe Foto,

das am letzten Tag der Jugendfreizeit aufgenommen worden war, an - ein Gruppenfoto. Rolf in der Mitte, Lucy und er links außen. Die Erinnerungen an Lucy wuchsen wie ein Berg an. Dabei wollte er es nicht belassen. Lyrik füllte die Lücken in seinem Alltag. Kunst heilte latent.

Länger als der Flug dauerte die Wartezeit. Um sich die Zeit zu vertreiben, las er wahllos in seinem Wörterbuch. Dunkel und windig begegnete ihm diese Nacht. Zaghaft stieg er ein, prüfte, ob seine Sachen vollständig waren. In Lichterkränzen erstrahlte Dublin. Mit dem Bus fuhr er vom Flughafen in die Stadt und meldete sich an der Hotelrezeption an.

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