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8. Oktober 2011 6 08 /10 /Oktober /2011 07:49

 

Ach Kinder, ich muss Euch unbedingt über Bauer Horst erzählen. Ich weiß nicht, ob Ihr ihn kennt, also wer ihn kennt, meint ja, er sei ein wenig...naja...er ist halt nicht unbedingt der Schlauste, aber ich finde, das ist überhaupt nicht wichtig, solang er Herz hat und das hat er durchaus. Deshalb finde ich es auch gemein, wenn manch einer sagt, seine Dummheit würde nur noch von seiner Faulheit übertroffen werden. Zugeben, Bauer Horst hat da...gewisse Defizite, aber gleich zu sagen, es gibt nichts, was er nicht vergeigt, finde ich etwas übertrieben. Leider fällt mir gerade auf, dass die Geschichte, über die ich Euch erzählen möchte, den Ruf unseres Bauern Horst nicht unbedingt widerlegt...Also gut, vielleicht ist ja doch etwas dran an dem Gerücht, aber wie auch immer. Unser Bauer Horst also hat neulich, naja neulich, also vor gut einem Jahr ein günstiges Angebot für ein Stück Acker bekommen. Kein besonders großer Acker, aber immerhin groß genug, so dass man Horst mit gewissem Respekt das Beiwort „Bauer“ gegeben hat. Natürlich hatte unser Bauer das Wörtchen auch „mental“ verdient, denn unser frisch gebackener Bauer hatte viel vor mit seinem

Acker und träumte alsbald schon von einer gewaltigen und vor allem einträglichen Ernte.

Ärgerlicherweise erkannte unser Bauer schnell, dass vor der heiß ersehnten Ernte auch noch ein Quentchen Arbeit auf ihn zukam, aber natürlich schreckte das Bauer Horst nicht ab. Mit all dem Eifer eines Beginnenden stürmte er sofort los und besorgte sich alles, was er meinte zu brauchen.

Dazu gehörte natürlich die Saat, ein paar Hacken und Spaten und halt ein paar Eimer für die Bewässerung. Warum denn Eimer, könnte sich manch einer fragen. Nunja, zu der Zeit gab es halt noch keine automatischen Bewässerungssysteme, weshalb die Bauern gezwungen waren ihre Äcker mit lediglich ein paar Eimern und gesunden Beinen aus dem Brunnen zu holen. Diese Schufterei war leider nötig, denn trotzdem der Boden in dieser Region sehr fruchtbar war, blieben oft monatelang die Regentage aus und so musste man sich schon die Mühe machen um zum Brunnen zu gehen um dort seine Eimer mit Wasser zu füllen. Auch Bauer Horst stand diese schweißtreibende Arbeit noch bevor, doch zuallererst galt es die Saat in den Boden zu kriegen. Glücklicherweise stellte sich heraus, dass der gekaufte Acker in hervorragendem Zustand übergeben wurde. Sämtliche Unkräuter waren entfernt und der Boden schön aufgelockert. So brauchte also unser Bauer nur noch die Säcke mit der Saat nehmen und deren Inhalt gleichmäßig auf den Acker verteilen, was er dann auch – wenn auch sehr mürrisch - mehr oder weniger schnell mit mehr oder weniger langen Pausen irgendwann erledigt hatte. Nun kam also der unangenehme Teil. Natürlich muss ich für die Skeptiker unter Euch noch schnell alle möglichen Alternativen ausschließen, damit Ihr mir auch ja nicht an der Geschichte zweifelt. Bauer Horst also war aus genau zwei Gründen gezwungen die Bewässerung seines Ackers alleine durchzuführen. Der eine ist offensichtlich, denn der Acker, obgleich er ein Schnäppchen war, hatte ihn soviel gekostet, dass er keine zusätzlichen Arbeiter mehr einstellen konnte, außer jene hätten sich breitschlagen lassen und ihren Lohn erst nach der Ernte eingefordert, aber diese Möglichkeit war aufgrund des schlechten Rufes unseres Bauern nahezu ausgeschlossen. Der zweite Grund ist weniger offensichtlich und für Bauer Horst sehr ärgerlich,

denn ein paar Tage zuvor hatte er es sich doch glatt in der Stammkneipe, in welcher sich die Bauern aus dem Umfeld oft trafen, mit allen verscherzt, indem er auf die wohlmeinenden Ratschläge seiner Kollegen mit herablassender Arroganz reagierte, indem er behauptete, er wäre auf keinen Tipp von solchen 'Dummschwätzern' angewiesen. Hier muss ich unbedingt eine besondere Eigenschaft von Bauer Horst erwähnen. Auch, wenn er vielleicht nicht wirklich etwas konnte, hatte ihn das Schicksal mit einer sehr praktischen Eigenschaft gesegnet, nämlich mit der eines unheimlich großen Selbstbewusstseins. Dieses war so gewaltig, dass es Bauer Horst nie am Gelingen seiner

Handlungen jemals zweifeln ließ, auch, wenn es wohl manchmal sicher angebracht gewesen wäre.

Viele seiner Mitmenschen beschrieben sein Handeln daher sehr gerne mit den Worten: Konsequent aber grundfalsch. Ja, das traf es wohl! Tja, so kam es also, dass Bauer Horst selbst Hand anlegen musste. Achso, eines sei noch erwähnt. Familie hatte er natürlich auch nicht. Zu der damaligen Zeit kam man nur in diesen Genuss, wenn man sein handwerkliches Geschick bereits schon einmal bewiesen hatte, so bekam die ersehnte Erntezeit unseres Bauern in gewissem Sinne sogar eine doppelte Bedeutung, aber das nur mal so nebenbei. Übrigens Freunde in der Nähe hatte er natürlich

auch nicht, da er gerade frisch in diese Gegend gezogen war und sämtliche Sympathiebekundungen der hiesigen Nachbarn mit der Kneipengeschichte zum erliegen gebracht hatte. Aber kommen wir jetzt endlich zu der Bewässerung. Der staatlich geprüfte Brunnenwart hatte für die Größe des Ackers unseres Bauern exakt 100 Eimer veranschlagt, die sich Bauer Horst aus dem Gemeindebrunnen holen durfte. Die ersten 10 davon hatte Bauer Horst mit nahezu leidenschaftlicher Freude auf seinen Acker verteilt, was daran lag, dass er zuerst die Randgebiete, die nicht so weit entfernt lagen, bewässerte. Doch nun mussten auch allmählich die Gebiete in weiterer Entfernung zum Brunnen bewässert werden und bereits bei den nächsten 10 Eimern begann Bauer Horst allmählich zu schwächeln. Bei den 10 Eimern danach war es sogar noch schlimmer und schließlich kam die Motivation unseres Bauern nahezu gänzlich zum erliegen. Und so trabte unser erschöpfter Bauer nur noch missmutig über den Acker, doch wie er mit seinem 31. Eimer, der mittlerweile nur noch halb gefüllt worden war, so meckernd über den klebrigen Boden stapfte, traf ihn plötzlich die Erkenntnis wie ein greller Blitz. Es war eine Erkenntnis, so wie sie ein fauler Mensch nur nach jahrelanger Konditionierung seiner Trägheit hervorbringen kann. Eine dieser Erkenntnisse, die ungemein wichtig sind für einen faulen Menschen, denn sie führen unmittelbar dazu, dass die Faulheit in einem rationalen Sinne gerechtfertigt wird, so dass sich die Person unmittelbar dadurch besser fühlt, oft sogar direkt clever. So erging es auch Bauer Horst, als

er sich plötzlich dachte, dass es gar nicht notwendig sei „hier so blöde über den Acker zu latschen“, denn Wasser, so schloss er, hätte doch die Eigenschaft sich zu verteilen und da braucht man doch letztlich nur an einer Stelle „zu gießen“. Die Stelle war natürlich schnell gefunden. Zufällig eine, die genau am Brunnen lag. Und so goss Bauer Horst, noch berauscht von seiner gewaltigen Entdeckung, alle fehlenden Eimer zügig auf die Stelle seines Ackers. Zwar schüttelte der Brunnenwart nur ungläubig den Kopf, aber „was wusste der schon“ und so verließ, nachdem die

letzten Eimer gelehrt waren, Bauer Horst freudig und Stolz seinen Acker und verfiel in seinen „wohlverdienten“ Schlaf.

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3. Oktober 2011 1 03 /10 /Oktober /2011 08:30

Dabei war manch einer von ihnen sogar davon überzeugt, dass nur ein Mord dieses Problem lösen könnte. Zwar waren alle im Prinzip dafür, allerdings entschieden sich die meisten von ihnen denn doch aufgrund der Gefahr des Aufstiegs unseres Helden zu einem Märtyrer - wenn auch ungern - gegen diese 'Intervention'. Statt dessen fand sich eine viel subtilere Lösung, die das Bollwerk der Machtstruktur zu eifriger Bewegung nötigte. Den ersten Schritt bildete dabei ein kurzer Zeitungsbericht, indem sich der anonyme Spender endlich zeigte. Dieser, so stellte sich heraus, war der Chef eines großen Textilkonzerns, dessen Name in aller Munde war. In dem Artikel wurde natürlich die Motivation des Spenders ausführlich im hellen Glanze dargestellt, doch dieser Aspekt war natürlich nicht der Entscheidende.

Den wirklich entscheidenden, um nicht zu sagen schockierenden, Punkt stellte der Hinweis dar, dass es sich bei der Spende um die Summe von exakt 3 Millionen Euro handelte und nicht um 2 Millionen. Dies implizierte natürlich die Veruntreuung von einer ganzen Million und urplötzlich geriet unser Held ins Fadenkreuz. Wie nur sollte er beweisen, dass er keine Million Euro veruntreut habe? Alsbald entschied er sich für den Weg nach vorn. Schnell wendete er sich an die Presse und verkündete einen Finderlohn von genau einer Million, im Falle, dass es jemandem gelänge ihm die

Veruntreuung nachzuweisen. Als Vorgeschmack auf die Schwierigkeit dieser Aufgabe veröffentlichte er zudem seine Kontoauszüge vom gesamten letzten Jahr und zusätzlich ein Gutachten des Finanzamtes, das bestätigte, dass keinerlei andere offiziellen Besitztümer dort bekannt wären, doch dies alles half natürlich nichts. Der Samen des Misstrauens war gesät und in den Augen seiner Feinde war bald Erntezeit. Denn diese schliefen nicht und so fand sich nach einigen Tagen überraschenderweise tatsächlich eine ausländische Bank, die bestätigen konnte, dass unser Held während einer Auslandsreise, die, so wurde ausführlich in den Medien berichtet, tatsächlich statt gefunden hatte, einen Betrag von exakt einer Million Euro in der besagten Bank eingezahlt habe. Natürlich war nicht nur unser Held von dieser hinterhältigen Mutmaßung schockiert. Alle waren es. Zwar erstattete er gleich darauf Anzeige und forderte eine Offenlegung der Geldeingänge der Bank, doch diese zeigten tatsächlich einen Geldeingang an besagtem Datum.

Zwar war interessanterweise auch ein Geldeingang beim Chef der Bank von ca. 200000 Euro ein paar Wochen darauf zu verzeichnen (ein sehr plumper Fehler), worauf unser Held auch in der Öffentlichkeit vehement hinwies, doch die Meinung der Öffentlichkeit schien auf einmal völlig gekippt zu sein, was nicht zuletzt auch daran lag, dass die Medien den Bürgern mysteriöserweise den Umstand der 200000 Euro regelrecht verschwiegen. Statt dessen sendeten sie hetzerische Berichte über 'das Doppelleben' unseres Helden. Wie aus dem Nichts erschien eine Vielzahl von Menschen, denen unser Held angeblich geschadet hatte. Selbst einige Frauen meldeten sich zu Wort und unterstellten unserem schockierten Opfer sexuelle Belästigung, Alkoholismus bis hin zu körperlicher Züchtigung. Zwar waren all diese Aussagen aufgrund fehlender Beweise absolut nicht haltbar, doch jede neue Untat, ob bewiesen oder nicht, sorgte so rasant für den Abstieg der öffentlichen Meinung über unseren ehemaligen Helden, so dass diesem letztlich nur noch der Ausweg des Rücktritts blieb. Das Machtgefüge hatte wieder gesiegt und schmerzlich blieb unserem

gebeutelten Helden nur eine Erkenntnis: Der Weg zur menschlichen Vervollkommnung wird nur aus dem Verständnis der Mechanismen und Kräfte, die uns bislang daran hindern, resultieren können.

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3. Oktober 2011 1 03 /10 /Oktober /2011 08:26

Der Inhalt, so äußerte er sich, solle nicht missverstanden werden. Er diene der Sache und fordere lediglich dazu auf, gewisse Zweige der Industrie von den 'hiesigen Reformen' unberücksichtigt zu lassen, da diese noch etwas Zeit

brauchten, um sich von der Krisenzeit etwas zu erholen. Unser Held durchschaute unseren großzügigen Spender natürlich sofort, allerdings, nachdem der Koffer geöffnet wurde, spiegelte sich Unruhe in seinen Gesichtszügen wider. Der Inhalt war ganz und gar keine Kleinigkeit. Nach den Erklärungen des mittlerweile lächelnden Mannes belief sich die Summe 'der Spende' auf ganze 2 Millionen Euro. Um einem Missverständnis vorzubeugen, muss ich an dieser Stelle unbedingt erwähnen, dass sich unser Held in diesem Moment nicht etwa über die 2 Millionen aus dem Grunde

freute, da er seine Urlaubsplanung noch nicht abgeschlossen hatte. Nein, vielmehr musste er plötzlich an einen Kindergarten denken, den er vor einiger Zeit in einem heruntergekommen Zustand in einem der Elendsviertel gelegen zu Gesicht bekommen hatte. Er stellte sich bereits vor, wie dieser durch so eine gewaltige Spende wieder zu erblühen begann. Neue Tapeten, Fensterschmuck, kostenloses Essen und psychologische Betreuung. Er musste nur zugreifen, doch war sein Wort denn nicht auch verbindlich, trotzdem sein Gegenüber in seinen Augen 'widerwärtige Interessen' verfolgte? Er beantwortete sich schließlich diese Frage, wie immer, mit seinem gesunden Menschenverstand, indem er sich für die Seite des 'Lügens für die Sache' entschied, immerhin lächelte ihn sein Gegenüber wie 'Falschgeld' an und warum sollte man nicht Gleiches mit Gleichem vergelten? So beschloss also unser Held das Nehmen des Geldes und erklärte sich – unter leisem inneren Gebet – mit den Bedingungen, die daran geknüpft waren, einverstanden. Erleichtert sprang der Mann mit dem Koffer auf und drückte ihm dankbar die Hand. Seltsamerweise nahm er einen ähnlich dankbaren Händedruck auch ein paar Tage später wahr, als er den Koffer an die Chefin des

Kindergartens übergab, doch wie leichtsinnig er dabei gehandelte hatte, stellte sich binnen kürzester Zeit danach heraus. Zwar erfolgte die Übergabe unter Ausschluss der Öffentlichkeit, denn unserem Held war die Dankbarkeit vor der Kamera immer etwas unangenehm. In seinen Augen tat er ja nur seinen Job und er wollte nicht, dass man über seine 'wirklichen Absichten' in den Medien wieder nur Schlechtes las. Daher beschränkte er sich bei seiner Großzügigkeit meistens auf das stille Schenken, so wenn ihm das möglich war. Bei dieser Sache allerdings unterschätzte er eindeutig die gewaltigen Wellen, die eine so großzügige Spende auslösen würde. Eine solche Summe konnte einfach nicht still übergeben werden und so las man bereits am Tag darauf überall in den

einschlägigen Blättern über die Tat unseres Helden, doch leider nichts ausschließlich Positives, denn Fragen standen im Raume, die zu seinem derzeitigen Image einfach nicht zu passen schienen:

Woher hatte er das Geld? War sein Gelübde etwa doch eine Lüge? Unser Held sah sich also gezwungen den Namen eines Spenders zu nennen, doch wen nur? „Nein“, sagte er sich schließlich, „in diesem Punkt darf ich nicht lügen. Hier wollen ehrliche Bürger eine ehrliche Antwort und genau diese sollen sie auch bekommen.“ So entschied er sich schließlich zu einem seriösen Interview, in welchem er die „Lobby-Affäre“ aufdecken wollte. Seltsamerweise nannte er dabei keine konkreten Namen und um das Gesicht der Spender zu wahren, falls sie sich doch zu erkennen geben, erwähnte er auch nichts über die Forderungen, sondern sagte, es sei lediglich eine 'große Geste' gewesen, von

einem edlen Spender, dessen Anonymität unbedingt gewahrt bleiben müsse. Nun war es leider so, dass dieses Interview nicht unbedingt den Erfolg mit sich brachte, den sich unser Held davon erhofft hatte. Der Grund dafür findet sich in der Psychologie. Auch wenn ein Angeklagter letztlich doch für unschuldig erklärt wird, bleibt dennoch irgendwie ein fader Beigeschmack des Misstrauens zurück. Ach, hätte sich unser verunsicherter Held doch bloß an seinen Entschluss gehalten und die Affäre in all seinen Details aufgedeckt, doch in gewisser Weise fühlte er sich seinen Spendern auch zu Dank verpflichtet und um die Sache nicht noch mehr zu verschärfen, entschied er sich unmittelbar vor dem Interview noch einmal um. So ist anzunehmen, dass seine unangemessene Geheimniskrämerei an dieser Stelle sicher das allmählich steigende Misstrauen gegen ihn innerhalb der Bevölkerung zusätzlich begünstigte. Natürlich war unser Held immer noch viel zu beliebt, als dass ihm diese Situation schon den 'Kopf gekostet hätte', allerdings kann man schon behaupten, dass diese Sache im Hinblick auf die späteren Ereignisse als ersten Sargnagel zu bewerten sei, denn eins war ja wohl klar: Diese Geschichte hatte unseren Helden in den Reihen der 'großzügigen Spender' nicht gerade beliebt gemacht, besonders weil er zum Ende des besagten Interviews hin

noch einmal nachdrücklich die vorbehaltlose Beibehaltung seines politischen Kurses prognostiziert hatte, tüftelten diese schon emsig an ihrer Rache.

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3. Oktober 2011 1 03 /10 /Oktober /2011 08:22

Eine Idee, die sich sehr schnell nach ihrer Verkündung allgemeiner Beliebtheit erfreute – zumindest unter den ärmeren Teilen der Bevölkerung, denn für die meisten von Ihnen bedeutete dies eine Verringerung des Bußgeldes und so kann man sich schnell denken, dass dieser Punkt im Wahlprogramm unseres Helden seiner Partei einen enormen Auftrieb bescherte und dies sollte "erst der Anfang sein", wie er unter hysterischem Jubel lauthals proklamierte. Doch kommen wir lieber endlich zur Tragödie unserer Geschichte. Wie nicht anders zu erwarten war, lief die Wahl für die Partei unseres Helden ausgezeichnet. Sie wurde zwar nicht die stärkste, aber das lag wohl nur an dem Umstand, dass die favorisierende Partei zum Schluss des Wahlkampfes plötzlich genau den gleichen erwähnten Punkt in ihr Wahlprogramm mit aufnahm. Das geschah zwar eher aus Kalkül als aus Überzeugung, jedoch führte es dazu, dass der Großteil der Wähler letztlich doch ihr Kreuz an gewohnter Stelle platzierte, mehr aus Trägheit als aus Überlegung, denn so ein plumper Opportunismus musste ja allen ins Auge fallen! Aber seis drum. Unser Held zog also als Abgeordneter in den Bundestag ein, was sehr schnell zu einer Welle der Empörung und Angst unter den alt eingesessenen Kollegen führte. Hatten diese geglaubt, unser Held hätte diese albernen Spielchen wie das 2000-Euro-Gelübde nur aus bloßer Machtgier gemacht, wurden alsbald eines  Besseren belehrt, denn unser Held verzichtete auch jetzt, wo er noch mehr einnahm, nicht auf seine Prinzipien, viel Schlimmer noch. Des Öfteren nahm er sich sogar die Schnittchen aus den Bundestagspausen mit nach Hause, so dass bald in einem hiesigen etablierten Blatt zu lesen war, er hätte seine Schwelle um 100 Euro nach unten korrigiert. Unser Held war in dieser Zeit nicht zu

bremsen. Seine Reden waren nicht reißerisch, auch hielt er sich nicht an die gängige rhetorische Konvention. Nämlich die der 'Parteienzuschreibung', die ja bekanntlich einen Großteil der politischen Arbeit ausmacht. Ihm war es völlig egal, wer den Fehler gemacht hat. Ihm als lösungsorientierten Pragmatiker war es einfach nur wichtig, ihn wieder zu beheben. Er sah sich als kein Vertreter irgendeiner Partei sondern als einer des Volkes und genauso waren seine Reden. Fair, ehrlich und – durch seinen Bauernverstand bedingt – auch allgemein verständlich, was eine große

Überraschung für manche seiner Kollegen darstellte, denn diese hatten gedacht, man müsse unbedingt so reden, dass es keiner versteht, um etwas durchsetzen zu können, doch die Aufrichtigkeit unseres Helden machte es anderen sogar viel schwieriger, ihm zu widersprechen, denn auf einmal verstanden auch die Bürger die Beschlüsse und forderten ihr Recht durch unseren zum Unglück geweihten Helden, denn alsbald stellte sich unter den Kollegen regelrechter Hass gegen ihn ein. Während dieser sich öffentlich für die Diätenkürzung, Vermögenssteuer und weiterer

zahlreicher Umverteilungsmaßnahmen aussprach, wuchs allmählich der Druck auf die Abgeordneten seitens der Wirtschaft. Besonders als der Vorstandschef eines berühmten Autokonzerns, ein leidenschaftlicher Sportwagenfahrer, geblitzt wurde, was die stattliche Summe von 100000 Euro einspielte und gleich ihre Verwendung in manch verwilderter Schule fand, musste unbedingt etwas gegen unseren Helden unternommen werden. So dauerte es nicht lange und viele andeutende Briefe landeten bei unserem Helden. Diese waren immer gleicher Struktur. Mit großem

Lob wurde die Arbeit unseres Helden zuerst gelobt, dann etwas weiter unten wurden 'gewisse Zweifel' bezüglich der Konsequenzen seiner Maßnahmen aufgezeigt und ganz weit unten, in einem winzigen Nebensatz – fast schon nicht erkennbar – nach den Bankdaten unseres Helden gefragt. Doch diesen ließ das alles kalt. Menschen, denen Geld wichtig ist, gehen immer davon aus, dass doch im Grunde genommen jeder reich und wenn schon das nicht wenigstens berühmt sein möchte, daher unterstellten die meisten dieser Natur unserem Helden eine Art Hinterhältigkeit, die so gemein war, dass keiner bislang dahinter gekommen war, was unser Held im Schilde führe, aber natürlich waren sich alle in dem Punkt einig, dass niemand aus bloßer Menschenliebe so handeln würde. Nein, unser Held musste der Übelste von uns allen sein, schlossen sie. Daran gab es keinen Zweifel. Der Köder musste lediglich groß genug sein. Und so erhielt unser Held an einem Donnerstag Nachmittag, zu dieser Zeit pflegte er den regelmäßigen Disput mit sogenannten Interessenvertretern in seinem Büro, von einem unheimlich netten Mann ein sehr großzügiges Angebot, das unser Held verhängnisvollerweise nicht ablehnte. Dieser gut gekleidete Mann stellte

sich als Vertreter 'gewisser Befürworter der neuen Idee' vor und setzte sich unverzüglich auf den Platz, der ihm angewiesen wurde. Nach umständlichem Gerede ganz im Stile der Briefe, die unser Held tagtäglich zu lesen hatte, führte das Gespräch schließlich zu einem Koffer, den der Mann nicht aus der Hand lassend geheimnisvoll auf seinem Schoß bewahrte.

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3. Oktober 2011 1 03 /10 /Oktober /2011 08:18

An solchen Tagen führte unser Held so manche Gespräche und die alte Dame sprach noch so einige solcher betrübenden Wahrheiten aus und es ist völlig unnötig zu erwähnen, dass das voll Liebe strotzende Herz unseres großen Helden vor Mitleid dabei fast zerplatzte. Eine Lösung musste dringend her. Als Pragmatiker sah er da nur einen Weg. Er musste in die Politik. Ach, hätte unser Held damals doch nur geahnt, was ihm nach dieser Entscheidung noch

bevorstand! Denn unser kluger, wenn auch allzu naiver Held, hatte sich gar nicht überlegt, wie hochorganisiert und gefestigt so eine Machtstruktur der Reichen doch sein musste, denn eins war klar: wer viel hat, hat auch viel zu verlieren und weil kein habgieriger Habender das haben will um seine Erhabenheit nicht zu verlieren, wird er sich weniger auf sein Glück als auf Kontrolle verlassen und diese besitzt er am besten in der Politik und in den Medien. Leider fehlt uns etwas die Zeit, um diese gekonnten und durchdachten Verwicklungen und Verstrickungen weiter zu erläutern. In Kurzform könnte man vielleicht sagen, dass es in erster Linie um die Ausgrenzung von alternativen

("gefährlichen") Ideen ging. Sehr beliebt waren auch kleine Ablenkungsmanöver. So wurde zum Beispiel nahezu regelmäßig darüber debattiert, wie man den Kanten am gerechtesten Teilen könnte. Das Ganze ging hin und her. So wurde beispielsweise die Bildung wieder zu Lasten des Lohns erhöht und dann wieder zum Nachteil einer anderen Sache gesenkt und das Ganze wieder von vorn. Dieses Spiel war so verwirrend und so zeitintensiv, dass die Frage nach der Größe des Kantens überhaupt nie gestellt werden konnte. So als ob diese doch unzweifelhaft unter allen politischen Teilnehmern zuvor nahezu axiomatisch fixiert wurde. Da war nicht dran zu rütteln. Doch unser kühner Held war da natürlich ganz anderer Meinung und so setzte er schnell eine neckische Spitzfindigkeit direkt in sein erstes Wahlprogramm. Diese 'amüsante Fieselei', so wie er sie manchmal in romantischer Stimmung unter Freunden betitelte, betraf das Bußgeld, das Gesetzeswidrige in horrenden Summen vielerorts fast täglich zu zahlen hatten. Diese Idee hatte natürlich, wie alle Ideen bei Menschen mit Bauernverstand, einen alltäglichen Bezug, der jedoch von den Meisten aufgrund der ihm zugrunde liegenden Trivialität von öffentlichen Personen oftmals verheimlicht wird. So war es auch bei unserem Helden, denn bei der Geburt seiner Idee befand er sich gerade mit seinem veralteten Volkswagen auf der Autobahn und ärgerte sich zornesrot über die Lichthupe seines Hintermannes, dessen luxuriöses Gefährt ihm schon fast von der Fahrbahn abzudrängen schien. Trotz des Versuchs der Unnachgiebigkeit, lenkte unser Held irgendwann schließlich doch ein und wechselte die Spur, so dass der wahnwitzige Verkehrsrowdie endlich mit

seinem Geschoss vorbeiziehen konnte. Da der verletzte Stolz unseres Helden dennoch sehr tief saß, unterließ es unser Held nicht sich seine Männlichkeit mit einem grimmigen Blick zum anderen Fahrer, als sie in etwa auf gleicher Höhe waren, würdevoll zurückzuerobern. Dieser jedoch ignorierte unseren Helden völlig und schien scheinbar mit seiner Autoscheibe zu reden. 'Wohl ein Businessman.', dachte unser Held abfällig, da erfolgte plötzlich ein kurzes Aufblitzen unmittelbar vor ihm und schnell schien das ihm eben überholte Fahrzeug etwas langsamer zu fahren, so dass sich beide Wagen wieder auf gleicher Höhe befanden. Natürlich war unser Held außer sich vor Freude und machte den Versuch diese seinem ungeliebten Widersacher auch mitzuteilen. Doch als er mit breitem Grinsen den Kopf zum anderen Fahrer neigte, musste unser Held mit Bestürzung feststellen, dass dieser überhaupt nicht sauer aussah! Viel schlimmer noch, auf einmal drehte dieser ebenfalls seinen Kopf und lächelte unseren Helden mit einem so breiten Grinsen ins Gesicht, dass dieser fast völlig die Fassung verlor und in ihm der Gedanke aufkeimte, seinem arroganten Nebenbuhler mit eindeutiger Handhaltung sein Missfallen ausdrücken zu wollen, doch dazu kam es dann schließlich doch nicht, denn der 'Schnösel', so wie unser Held sich mehrmals später äußerte, drückte auf einmal so kräftig auf das Gaspedal, dass sich sein Gefährt alsbald in der Weite des Horizonts verlor. Unser geschlagene Held wetterte noch so einige Zeit über diese Geschichte und war fast in Versuchung seinem 2000-Euro-Gelübde für kurze Zeit zu entsagen, um sich für eine zukünftige Autobahnsituation angemessen wappnen zu können, doch dann erschien in ihm die Idee, welche seiner Erniedrigung letztlich doch etwas Positives abgewinnen ließ, denn auf die Frage, warum der Blitz dem offenkundig wohlhabenden Menschen so gleichgültig war, konnte es nur eine Antwort geben. Dieser empfand die Konsequenz seiner Zuwiderhandlung nicht als hinreichend beeinträchtigend, was, so schloss er, darauf zurückzuführen war, dass das Bußgeld für eine Person mit Geld viel zu gering war, als dass es hätte abschreckend wirken können. So folgerte er schließlich nicht ohne Rachegelüste die Schaffung eines "Relativen Bußgeldkatalogs". In diesem sollte die zu zahlende Strafgebühr aus einem prozentualen Anteil des Einkommens des Zuwiderhandelnden bestehen.

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3. Oktober 2011 1 03 /10 /Oktober /2011 07:05

Der große Mann

Die Geschichte soll, wie so oft, mit einer harmlosen Einleitung beginnen und schließlich mit einer schrecklichen Tragödie ihr Ende finden. Unser Hauptheld ist natürlich männlicher Natur. Man könnte nun überlegen, ob jener besondere Eigenschaften besitzt, zum Beispiel sehr groß wäre, aber in der Tatsache, dass unser Held von der Körpergröße eher mittelgroß zu nennen wäre, liegt unmittelbar die wirkliche Besonderheit unseres Helden begründet, nämlich seine besondere geistige Größe, obgleich schonmal im Vorfeld erwähnt werden sollte, dass unser Held weder ein Genie ist noch eines dieser manchmal vorkommenden Inselbegabungen, die aus riesigen Zahlen in

unvorstellbarer Geschwindigkeit enorme Rechenoperationen vornehmen können. Nein, unser Held verfügt über etwas anderes. Nämlich eine Form der geistigen Größe, die man auch als Bauernvernunft oder Pragmatismus bezeichnen könnte. Zum Beispiel hat unser Held eine sehr klare Definition von Gerechtigkeit, welche er manchmal zum Besten gibt, wenn er auf Pressekonferenzen etwas Erheiterndes und zudem sehr Ernstes über die heutige politische Situation mitteilen möchte.

Meistens beginnt er dabei mit einer falschen Definition, die, so wie er glaubt, noch in vielen Köpfen vorhanden zu sein scheint, besonders seiner Ansicht nach in den Köpfen derjenigen, die 'systemrelevante' Positionen inne haben, was unseren Helden besonders ärgert, da diese ja aufgrund ihres Postens durchaus Verstand besitzen müssten. Unser Held beginnt dabei stets mit einem zugegeben sehr abstrakten Problem. "Man nehme einen Laib Brot", sagt er in fast mathematischer Manier der Beweisführung, "und versuche diesen auf 100 Menschen aufzuteilen." An dieser Stelle

wissen die Meisten im Saal schon, was nun folgen wird, allerdings bitten die Wenigsten darum, den folgenden Teil zu überspringen, da unser Held bei seinen Erläuterungen stets sehr in Rage gerät, was allgemein als sehr erheiternd wenn nicht sogar belustigend empfunden wird. Unser Held also erläutert weiter "Nach eurer Definition von Gerechtigkeit", sagt er böse sich nach einem Feind umschauend "nimmt man also ein Messer, schneidet den Kanten ab, wirft 99 diesen hin und behält den Rest für sich. Und das", wiederholt er nach einer langen Pause bekräftigend "nennt ihr dann Gerechtigkeit." Danach folgt schließlich seine Definition, die man sich nach Erwähnung seines

Bauernverstandes ja schon denken kann, weshalb ich sie hier überspringen möchte und lieber die Wirkung auf seine Zuhörer noch einmal eingehender erläutern möchte. Denn diese zeigt trotz der kurzfristigen Erheiterung in langfristiger Weise durchaus ein Resultat, das unserem Helden sehr zuträglich ist, denn seine aufrichtige Wut schafft vielerorts Sympathie und daher – um im Politikerjargon zu bleiben – Stimmen (wobei man oftmals den Eindruck haben könnte, dass manchen Politikern Stimmen wichtiger als die Menschen dahinter sind), so dass man mit Fug und Recht sagen kann, dass sich unser Held großer Beliebtheit unter der Bevölkerung erfreute. Er war sozusagen "im Kommen" und man bräuchte fast nicht mehr erwähnen, dass dieser Umstand unserem Helden nicht nur Freunde einbrachte, denn es gab eine Menge sehr einflussreicher Personen, die ihm am liebsten den aufsteigenden Ast abgesägt hätten, wenn nicht sogar ihn davon heruntergeschossen hätten. Doch Schuld war unser Held natürlich auch selber, denn nicht nur seine populistischen Thesen sorgten für Aufsehen, sondern auch die Tatsache, dass er tatsächlich bereit war, danach zu handeln, was in den Medien nahezu täglich für Schlagzeilen sorgte. Ein Bericht aus seinem Lebensalltag soll hierfür exemplarisch sein. In diesem zeigte er nämlich eine seiner fast skandalösesten Prinzipien. Nämlich hatte er sich eines Tages tatsächlich einmal hingesetzt und sich seinen Teil des Laibes ausgerechnet, der ihm seiner Meinung nach zustand. Nach den Faktoren männlicher Single, Dreizimmerwohnung, Kleinwagen, Ernährung, ein wenig Luxus aber keinen Schund, etc. kam er auf eine monatliche Summe von knapp 2000 Euro. Überraschenderweise war diese Summe deutlich unter der seiner Einnahmen, denn die politische Tätigkeit wie Bücher, Kolumnen usw. warf mittlerweile durchaus schon ein stattliches Sümmchen ab. Ein so stattliches, dass unser Held nahezu übergeschnappt sein musste, denn in dem Bericht über ihn sagte er doch tatsächlich in aller Vernunft und – wohlgemerkt – Nüchternheit, er gebe den Teil, der über seine festgelegte Summe ist, Monat für Monat für wohltätige Zwecke ab. Gott, was für ein Idiot, möge mancher nun vielleicht auch etwas zu Recht über unseren Helden denken. Einige Hinterlistige würden vielleicht zum Gegenteil kommen und hinter all dem einen geschickten Schachzug 

innerhalb seiner Wahlkampagne vermuten, doch wie dem auch sei, unser Held war einfach so und er machte es einzig und allein wegen seines Sinns für Gerechtigkeit, trotzdem er natürlich wusste, dass sein Handeln nur lediglich als Tropfen auf den heißen Stein gewertet werden konnte, denn die paar Tausender, die unser Held allmonatlich entbehrte, waren natürlich nichts im Vergleich zu denjenigen, die ihn so ärgerten, denn manche von diesen verdienten ihren Teil des Laibes binnen eines Tages, doch, viel schlimmer, was machten sie erst mit dem Rest! Sie kauften sich riesige Häuser, denen das Wort Palast nicht einmal gerecht geworden wäre, sie statteten ihre Frauen mit Kleidern, Schmuck und Taschen aus, von deren Wert ein ganzes afrikanisches Dorf jahrelang hätte überleben können, auch statten sie sich mit Frauen aus, arme Seelen, die Dankbarkeit mit Liebe verwechselten, oder auch ihre alten Frauen mit Merkmalen, die ihr Antlitz verzehrten und ihnen den Schlaf auf dem Bauch verhinderten. Doch von alldem ärgerte ihn am meisten die überhebliche Selbstverständlichkeit, mit der die 'besseren Menschen' das Recht auf ihren Besitz wahrnahmen. Ja, so als ob der liebe Gott persönlich ihnen das Einverständnis zu ihrer geistlosen Maßlosigkeit

gegeben hätte. Doch auch etwas anderes ärgerte ihn 'in den eigenen Reihen', so wie er sich des Öfteren ausdrückte. Nämlich der Umstand, dass der einfache Mensch diese Maßlosigkeit der Obrigkeit nahezu passiv einfach so hinnahm. So, als ob es ein ungeschriebenes Gesetz gab, in dem der einfache Mensch gefälligst dem Edlen zu Reichtum verhelfen sollte, selbst unter Verzicht der eigenen Zufriedenheit. Wahrlich durfte er im Rahmen der enormen Erfindung der Meinungsfreiheit sein Missfallen darüber ausdrücken und das tat er natürlich auch oft genug, aber dennoch schien

ihm das Meckern in vielerlei Hinsicht bereits irgendwie zu genügen. Doch warum nur, fragte sich unser Held? Man könnte annehmen, dass die Bürger nicht genügend über die gewaltige Verschwendung im gehobenen Kreise informiert gewesen wären, doch diesen Gedanken galt es alsbald zu verwerfen, denn die Medien berichteten mittlerweile über fast nichts anderes. Sobald man den Fernseher anschaltete, sah man Stars und Sternchen, 'Celebrities' und Prominenz, kurz Menschen, die 'es geschafft hatten', und empfand dabei nichts Anstößiges, trotzdem der geneigte Zuschauer durchaus solches hätte finden können. Nein, etwas anderes musste es sein und nach

endlosen Büchern und zahllosen Grübeleien fand unser Held schließlich eine Antwort. Die Gewohnheit. Diese, so schloss unser Held scharf, erwächst aus der Angst vor Veränderung. Hier sei erwähnt, dass er sich bei diesen mentalen Ausflügen manchmal ein Bild einer älteren Frau machte, der er dann die Stimme des 'einfachen Volkes' zukommen ließ. Diese sagte ihm etwa Folgendes:

"Ich weiß, mir gehts nicht gut, ich kenne viele, die in Armut leben und ich sehe auch, wie die Reichen uns auf der Nase herumtanzen und das auch nichtmal vor uns zu verbergen versuchen, aber dennoch denke ich mir auch, dass es viel schlechter um uns stehen könnte und da ich selbst nichts machen kann, weil ich arm bin, versuche ich wenn schon kein glückliches dann wenigstens ein zufriedenes Leben zu führen."

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27. September 2011 2 27 /09 /September /2011 08:05
 

Wir blieben ein russenfreies Haus. Vielleicht, weil Vati sich inzwischen erfolgreich auf dem Bahnhof beworben hatte. Als einziger gelernter Bahnbeamter wurde er plötzlich zum deutschen Bahnhofsvorsteher von Schwerin befördert. Natürlich stand ihm ein russischer Bahnhofskommandant zur Seite. Igor Sergejewitsch war ebenfalls gelernter Eisenbahner, und Vati fand schnell Kontakt zu ihm.

Von wegen verordnete Freundschaft. Jedenfalls nicht bei uns! Die DSF war das einzige Politische, auf das sich Vati eingelassen hat. Den Ausweis von 47 gibt es noch ... Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, so hieß das damals ...

Dann tobte irgendein besoffener Soldat zwischen den Gleisen. Grölte, verprügelte den Deutschen, der ihn beruhigen wollte, schimpfte ihn Faschist und blieb schließlich zuckend auf dem Hauptgleis liegen. Vati wurde gerufen. Aber was konnte er ausrichten? Er meldete es dem russischen Kommandanten. Unglücklicherweise mit den Worten: Da liegt ein besoffener Russe auf den Gleisen. Das sonst immer gutmütige Gesicht des Igor Sergejewitsch verfinsterte sich sofort. Nein, Hans - er nannte Vati wie alle Deutschen Hans - das ist kein Russe, das ist ein Bandit. Wir kümmern uns um ihn. Vati hat es bereut, sich nicht selbst „gekümmert„ zu haben. Wie einen Mehlsack schnappten sie den Körper und schleuderten ihn über die Ladeklappe des Lasters. Ab nach Sibirien. Wer weiß, warum er sich so aufgeführt hat. Nein, nein, zu so was solltest du nicht Russe sagen, wiederholte Igor Sergejewitsch später noch einmal.

Fast wären Vati und er Freunde geworden und wir eine normale Bahnbeamtenfamilie.

Eines Tages jedoch behauptete jemand, Vati wäre als Beamter in der Nazipartei gewesen; das hätte er verschwiegen.

Ohne weitere Verhandlung wurde der Bahnhof nachentnazifiziert und Vati arbeitslos.

... Warum wir trotzdem in der DDR besser dran waren? ... Nein, heute nicht! ...

... Das hoffe ich doch, daß ihr den Kachelofen nicht abreißt. Es ist so gemütlich hier. Und vielleicht sitzt ihr mal an dem Platz und erzählt euren Enkeln Geschichten.

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27. September 2011 2 27 /09 /September /2011 08:03
 

Gundel wollte mich festhalten. Ich öffnete die Tür, obwohl sie nicht bei uns geklopft hatten. Mit Kriegsgefangenen hatte ich meine Erfahrungen. Dachte ich. Schließlich hatte ich schon früher mit Fremdarbeiter zu tun. Als ich in der Küche arbeiten mußte, habe ich ihnen immer die Reste zugeschoben, obwohl es verboten war. Aber es war doch schade um das schöne Essen und was meint ihr, wie die sich gefreut haben!

Zugegeben, niemals sonst habe ich meinen gewölbten Bauch dermaßen vorgestreckt. Einen Korb hatte ich in der Hand mit einem Brot darin und einem Stück Räucherspeck. Ein Messer hatte ich dabei und einen Krug Wasser. Gerufen habe ich etwas Polnisches ... Was weiß ich? ... Kein Wort mehr. Ich habe später nie wieder polnisch gesprochen ... Stanislaw, der die Truppe anführte, fragte etwas. Natürlich auf polnisch. Wer einen großen Topf habe oder etwas für die Suppe? Das fragte ich, auch polnisch. Ich würde das Kochen übernehmen, erstmal, und sicher fänden wir noch mehr, was wir in den Topf schmeißen könnten.

Gundel hinter mir zitterte, Vati hatte den Finger am Abzug einer Pistole.

Zum Mittag saßen wir am Lagerfeuer mit Suppentöpfen. Welche hatten Gemüse gebracht, andere Beilagen, Fleisch, mehr als die Fremden je in Deutschland bekommen hatten. Langsam waren die Fensterläden wieder aufgegangen. Alle konnten es loswerden: Es war nicht ihre Schuld. Sie waren nie dabei. Sie hatten schon immer nur ihren Frieden gewollt. Mutig waren die Mecklenburger nie.

Es folgten zwei idyllische Monate. Sogar mit Vati freundete sich Stanislaw an. Obwohl er in ihm den Wehrmachtssoldaten witterte. Aber er war mein Mann. In unserer Siedlung gab es keinen einzigen Vorfall. Die ehemaligen Zwangsarbeiter halfen freiwillig bei der Gartenarbeit und beim Ausbessern der Häuser. Sie nahmen, was man ihnen gab. Man gab ihnen viel.

Ganz schwand die Angst vor den neuen Herren nicht.

Aus der Stadt kamen Nachrichten, die dieser Angst Nahrung boten. Vera, die Tochter der Martens, hatte ihre frühere Stellung in der Villenstraße am See behalten. Die Amis hatten sie vergewaltigt, gleich kompanieweise hintereinander. Die Eltern gingen zur Militärverwaltung, sich beschweren. Sie kamen nicht zurück.

Anfangs sind die Mecklenburger Fremden gegenüber verschlossen. Mein Suppentopf hatte die Siedlung von Racheakten bewahrt. Jeder konnte sicher über die Straße gehen. So hatte ich hier schnell einen guten Stand. Doch die Gruppen der Kriegsgefangenen lösten sich auf, ihre Baracken endeten als Lagerfeuer. Die Gerüchte verdichteten sich: Schwerin war den Russen zugeschlagen worden, die Amis würden gehen.

Plötzlich hieß es, die Amis verteilen die gesamten Lebensmittelvorräte. Ob sie nun den Russen nur leere Speicher überlassen wollten oder ob sie den Spaß gesucht hatten an kriechenden Deutschen - sie erreichten beides. Die zuerst da waren, rafften, so viel ihre Körperkraft erlaubte. Auch ich hatte davon gehört, aber Gerlinde konnte jeden Tag kommen, da mußte ich mich vorsehen.

Um mich herum rissen sie sich gegenseitig Kartons aus den Händen, Sauerfleisch oder was weiß ich, keiner hat viel auf die Aufschriften geachtet wegen der Sprache und wegen der Zeit, weil andere Plünderer den vorderen in den Rücken traten. Die Kleidung zerrissen sie sich gegenseitig und ein paar Soldaten standen drum herum, ihre Zigaretten schief im Mund und lachten sich scheckig.

So zog mit den Russen der Hunger ein. Die kamen dann auch auf unsere Halbinsel. Einquartierungen für Offiziersfamilien.

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27. September 2011 2 27 /09 /September /2011 08:02
 

Aus den Nachrichten zur Frontbegradigung im Volksempfänger ... na, dem Radio ... versuchten wir den aktuellen Stand der Frontlinie abzuschätzen. Schwerin war kein strategischer Ort. Sowohl Russen als auch Amerikaner hatten keine Eile, uns zu erreichen. Wir wünschten, die Amis kämen zuerst ...

Doch zuerst kläffte Nero.

Es war später Abend. Wie immer hatten wir abgedunkelt wegen der Bomber. Es war eigentlich Zeit zum Schlafengehen. Der altersschwache Köter kläffte richtig wütend.

Gundel flüsterte: Elfriede, da ist jemand im Garten ...

Und ich: Laß nur, was soll er schon holen? Und wenn, verhindern können wir es sowieso nicht. Hauptsache, er kommt nicht rein.

Das war wie eine Beschwörungsformel. Aber sie wirkte nicht. Es klopfte und kratzte weiter an der Hintertür. Welcher Einbrecher hätte das getan? Wenn der Kläffer endlich die Schnauze gehalten hätte! Wir taten, als wäre niemand da.

Elfi? Elfriede? Eine Hand kratzte nun am hinteren Mittelfenster.

Einen Augenblick sahen wir uns verdutzt an. Dann schoß ich an die Tür, schmiß einen Stuhl um dabei, griff nach der Klinke; Gundel, wo ist der Schlüssel? Im Sekretär? Moment, du hast selbst gesagt, ich soll ihn nicht stecken lassen. Gundel zitterte, als sie mir den Schlüssel gab, ich zitterte, als ich ihn in das Loch steckte, umdrehen wollte. Dann war Vati, euer Opa, zu Hause.

Mein Gott, was war er für eine dürre Vogelscheuche geworden! Meine Nachricht hatte ihn tatsächlich in Wismar erreicht. Da hatte er, glaube ich, das Kommando über die Reste einer Kompanie. Er hat sie alle einzeln in Fronturlaub geschickt. Sich sofort in Richtung Schwerin aufgemacht. Durch die Felder geschlagen. Nachts. Zu Fuß ... Ich war doch nicht dabei. Und er wollte nicht damit protzen, daß er nicht nur abgehauen war, sondern auch ein paar Kameraden das Leben gerettet hat. Wir können ihn ja nicht mehr fragen ...

Nun war er ein Problem. Zwar konnten wir ihn ernähren, schützen, verbergen, aber wenn nur einer der stationierten Soldaten den wehrfähigen Mann in unserem Haus bemerkt hätte, hätten sie ihn sofort erschossen.

Das Problem löste sich schnell und einfach. Am nächsten Morgen flog eine Bomberstaffel an uns vorbei ostwärts. Einer der Jungs drehte durch. Er schoß hinter den Fliegern her. Nicht ohne Wirkung: Zwei der Flugzeuge wendeten. Sie befreiten sich von ihrer Bombenlast und schlossen wieder zu ihrem Verband auf. Die Soldaten sahen wir nicht wieder. Aus einigen der verstreuten Uniformteile haben wir später Arbeitssachen geschneidert.

10 Kilometer östlich pfiffen schon die Stalinorgeln, aber in Schwerin rückten die Amerikaner ein. Unsere Siedlung besetzten die Gefangenen.

In 54 Häusern verschanzten sich die Mecklenburger. Man konnte ja nicht wissen. Besser die Türen zur Straße ordentlich verriegeln, die Fensterläden verschließen und abwarten.

Eines hatten sie vergessen: 300 Männer hatten Hunger.

Den drei Gestalten, die sich bewaffnet den ersten Häusern näherten, sah man das nicht an. Wahrscheinlich selbst zitternd klopften sie an eine Tür. „Sofort aufmachen!„ Diese deutschen Worte hatten sie behalten.

Nichts rührte sich.

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27. September 2011 2 27 /09 /September /2011 08:01
 

Durch das Fenster starrte mich eine große Puppe an.

Es war keine Puppe. Es war eine Frau, die sie an die Oberleitung der Straßenbahn geknüpft hatten. Im Radio hatten sie den Tod des Führers gemeldet. Da habe diese Frau in aller Öffentlichkeit aufgeatmet und gesagt, Bei Gott, dann ist bald Frieden. Zweimal noch hat Gott den Strick reißen lassen, erklärte die Barmherzige Schwester. Früher hätte dies Begnadigung bedeutet.

Doch nun solle ich mir schnell etwas überziehen. Die Kranken würden abtransportiert. In Sicherheit. In ein kleines Lazarett im Westen. Rehna. Ich solle mich beeilen.

Ich bin rausgerannt. Schnell auf die noch saubere Toilette. Mein leerer Magen gab eine saure Brühe von sich. Lange ließ ich kaltes Wasser über mein glühendes Gesicht laufen.

Danke, Schwester, hier bin ich meinem Mann am nächsten, habe ich geantwortet. Ob sie nicht die Nachricht nach Wismar mitgeben könne, ich sei jetzt in Schwerin? Möglich, mein Mann sei dort. Jedenfalls vielleicht noch. Ich komme schon zurecht. Sie solle sich um mich keine Sorgen machen.

... Weiß ich nicht. Manchmal sehe ich die Gesichter vor mir, als wäre es gestern und ich höre sie sprechen und dann wieder ist mir, als wäre es ein selbst gemachter Film ... Spottet nur über eure alte Oma. Da kommt ihr auch noch hin. Aber ...

Egal: Die Schwester senkte den Kopf. Ich muß los. Wenn Sie meiner Kusine Grüße bestellen würden? Die wohnt in einer Siedlung am Stadtrand. Sie brauchen nur zu sagen, Sie kämen von mir, dann finden Sie Unterschlupf und Frieden.

Meine Augen brannten, doch das Kleid am Körper war gewaschen, und inzwischen hatten Anwohner die Gehängte abgenommen.

Es war ein strahlend sonniger Frühlingstag, als ich das erste Mal unseren Wasserweg entlanggelaufen bin. Der Bahndamm roch vertraut nach verbranntem Gras. Wie er eben riecht, wenn das Vorjahresstroh in der Sonne trocknet und vorbeifahrende Züge Funken hineinschmeißen. Rasch ist alles schwarz. Ich kam mir zu Hause vor.

In meinem Bauch rumpelte es. Gerlinde wuchs dort seit Vatis letztem Fronturlaub. Hatte wohl Hunger.

Ich fand die Adresse auf Anhieb. Die Siedlung war während des ganzen Krieges von Luftangriffen verschont geblieben. Der Krieg war jetzt erst auf der Halbinsel angekommen. Der Anger war voller Notbaracken mit Kriegsgefangenen, die in Tag- und Nachtarbeit Stellungen bauten. Polen, Franzosen, Russen ... Um sie herum Jungs mit ersten Barthaaren. Für die ging das große Kriegsspiel los.

... Ja, schütte gleich zwei Löffel Zucker in die Tasse. Danke. ... Gundel war 22, einsam und verängstigt. Nach meinem Gruß hat sie mich wie eine wiedergefundene Schwester empfangen. Ihr Mann war auch im Krieg. Sie besorgte die Wirtschaft. Außerdem ihre hilflose kranke Mutter, einen Hund und zwei alte Gänse, die zu schlachten sich nicht mehr gelohnt hatte. Mit mir konnte sie den Abendstunden etwas sicherer entgegensehen.

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