Ach Kinder, ich muss Euch unbedingt über Bauer Horst erzählen. Ich weiß nicht, ob Ihr ihn kennt, also wer ihn kennt, meint ja, er sei ein wenig...naja...er ist halt nicht unbedingt der Schlauste, aber ich finde, das ist überhaupt nicht wichtig, solang er Herz hat und das hat er durchaus. Deshalb finde ich es auch gemein, wenn manch einer sagt, seine Dummheit würde nur noch von seiner Faulheit übertroffen werden. Zugeben, Bauer Horst hat da...gewisse Defizite, aber gleich zu sagen, es gibt nichts, was er nicht vergeigt, finde ich etwas übertrieben. Leider fällt mir gerade auf, dass die Geschichte, über die ich Euch erzählen möchte, den Ruf unseres Bauern Horst nicht unbedingt widerlegt...Also gut, vielleicht ist ja doch etwas dran an dem Gerücht, aber wie auch immer. Unser Bauer Horst also hat neulich, naja neulich, also vor gut einem Jahr ein günstiges Angebot für ein Stück Acker bekommen. Kein besonders großer Acker, aber immerhin groß genug, so dass man Horst mit gewissem Respekt das Beiwort „Bauer“ gegeben hat. Natürlich hatte unser Bauer das Wörtchen auch „mental“ verdient, denn unser frisch gebackener Bauer hatte viel vor mit seinem
Acker und träumte alsbald schon von einer gewaltigen und vor allem einträglichen Ernte.
Ärgerlicherweise erkannte unser Bauer schnell, dass vor der heiß ersehnten Ernte auch noch ein Quentchen Arbeit auf ihn zukam, aber natürlich schreckte das Bauer Horst nicht ab. Mit all dem Eifer eines Beginnenden stürmte er sofort los und besorgte sich alles, was er meinte zu brauchen.
Dazu gehörte natürlich die Saat, ein paar Hacken und Spaten und halt ein paar Eimer für die Bewässerung. Warum denn Eimer, könnte sich manch einer fragen. Nunja, zu der Zeit gab es halt noch keine automatischen Bewässerungssysteme, weshalb die Bauern gezwungen waren ihre Äcker mit lediglich ein paar Eimern und gesunden Beinen aus dem Brunnen zu holen. Diese Schufterei war leider nötig, denn trotzdem der Boden in dieser Region sehr fruchtbar war, blieben oft monatelang die Regentage aus und so musste man sich schon die Mühe machen um zum Brunnen zu gehen um dort seine Eimer mit Wasser zu füllen. Auch Bauer Horst stand diese schweißtreibende Arbeit noch bevor, doch zuallererst galt es die Saat in den Boden zu kriegen. Glücklicherweise stellte sich heraus, dass der gekaufte Acker in hervorragendem Zustand übergeben wurde. Sämtliche Unkräuter waren entfernt und der Boden schön aufgelockert. So brauchte also unser Bauer nur noch die Säcke mit der Saat nehmen und deren Inhalt gleichmäßig auf den Acker verteilen, was er dann auch – wenn auch sehr mürrisch - mehr oder weniger schnell mit mehr oder weniger langen Pausen irgendwann erledigt hatte. Nun kam also der unangenehme Teil. Natürlich muss ich für die Skeptiker unter Euch noch schnell alle möglichen Alternativen ausschließen, damit Ihr mir auch ja nicht an der Geschichte zweifelt. Bauer Horst also war aus genau zwei Gründen gezwungen die Bewässerung seines Ackers alleine durchzuführen. Der eine ist offensichtlich, denn der Acker, obgleich er ein Schnäppchen war, hatte ihn soviel gekostet, dass er keine zusätzlichen Arbeiter mehr einstellen konnte, außer jene hätten sich breitschlagen lassen und ihren Lohn erst nach der Ernte eingefordert, aber diese Möglichkeit war aufgrund des schlechten Rufes unseres Bauern nahezu ausgeschlossen. Der zweite Grund ist weniger offensichtlich und für Bauer Horst sehr ärgerlich,
denn ein paar Tage zuvor hatte er es sich doch glatt in der Stammkneipe, in welcher sich die Bauern aus dem Umfeld oft trafen, mit allen verscherzt, indem er auf die wohlmeinenden Ratschläge seiner Kollegen mit herablassender Arroganz reagierte, indem er behauptete, er wäre auf keinen Tipp von solchen 'Dummschwätzern' angewiesen. Hier muss ich unbedingt eine besondere Eigenschaft von Bauer Horst erwähnen. Auch, wenn er vielleicht nicht wirklich etwas konnte, hatte ihn das Schicksal mit einer sehr praktischen Eigenschaft gesegnet, nämlich mit der eines unheimlich großen Selbstbewusstseins. Dieses war so gewaltig, dass es Bauer Horst nie am Gelingen seiner
Handlungen jemals zweifeln ließ, auch, wenn es wohl manchmal sicher angebracht gewesen wäre.
Viele seiner Mitmenschen beschrieben sein Handeln daher sehr gerne mit den Worten: Konsequent aber grundfalsch. Ja, das traf es wohl! Tja, so kam es also, dass Bauer Horst selbst Hand anlegen musste. Achso, eines sei noch erwähnt. Familie hatte er natürlich auch nicht. Zu der damaligen Zeit kam man nur in diesen Genuss, wenn man sein handwerkliches Geschick bereits schon einmal bewiesen hatte, so bekam die ersehnte Erntezeit unseres Bauern in gewissem Sinne sogar eine doppelte Bedeutung, aber das nur mal so nebenbei. Übrigens Freunde in der Nähe hatte er natürlich
auch nicht, da er gerade frisch in diese Gegend gezogen war und sämtliche Sympathiebekundungen der hiesigen Nachbarn mit der Kneipengeschichte zum erliegen gebracht hatte. Aber kommen wir jetzt endlich zu der Bewässerung. Der staatlich geprüfte Brunnenwart hatte für die Größe des Ackers unseres Bauern exakt 100 Eimer veranschlagt, die sich Bauer Horst aus dem Gemeindebrunnen holen durfte. Die ersten 10 davon hatte Bauer Horst mit nahezu leidenschaftlicher Freude auf seinen Acker verteilt, was daran lag, dass er zuerst die Randgebiete, die nicht so weit entfernt lagen, bewässerte. Doch nun mussten auch allmählich die Gebiete in weiterer Entfernung zum Brunnen bewässert werden und bereits bei den nächsten 10 Eimern begann Bauer Horst allmählich zu schwächeln. Bei den 10 Eimern danach war es sogar noch schlimmer und schließlich kam die Motivation unseres Bauern nahezu gänzlich zum erliegen. Und so trabte unser erschöpfter Bauer nur noch missmutig über den Acker, doch wie er mit seinem 31. Eimer, der mittlerweile nur noch halb gefüllt worden war, so meckernd über den klebrigen Boden stapfte, traf ihn plötzlich die Erkenntnis wie ein greller Blitz. Es war eine Erkenntnis, so wie sie ein fauler Mensch nur nach jahrelanger Konditionierung seiner Trägheit hervorbringen kann. Eine dieser Erkenntnisse, die ungemein wichtig sind für einen faulen Menschen, denn sie führen unmittelbar dazu, dass die Faulheit in einem rationalen Sinne gerechtfertigt wird, so dass sich die Person unmittelbar dadurch besser fühlt, oft sogar direkt clever. So erging es auch Bauer Horst, als
er sich plötzlich dachte, dass es gar nicht notwendig sei „hier so blöde über den Acker zu latschen“, denn Wasser, so schloss er, hätte doch die Eigenschaft sich zu verteilen und da braucht man doch letztlich nur an einer Stelle „zu gießen“. Die Stelle war natürlich schnell gefunden. Zufällig eine, die genau am Brunnen lag. Und so goss Bauer Horst, noch berauscht von seiner gewaltigen Entdeckung, alle fehlenden Eimer zügig auf die Stelle seines Ackers. Zwar schüttelte der Brunnenwart nur ungläubig den Kopf, aber „was wusste der schon“ und so verließ, nachdem die
letzten Eimer gelehrt waren, Bauer Horst freudig und Stolz seinen Acker und verfiel in seinen „wohlverdienten“ Schlaf.